Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Eijiros Frau und die drei Töchter brachten Tee und süÃe Kuchen aus Bohnenpaste. Die Söhne zeigten ihre Reitkünste auf der Wiese an der Südfront des Hauses, dann wetteiferten alle mit dem Bogen und schossen zu Pferd und zu FuÃ. Tadao wurde zum Sieger erklärt und Eijiro schenkte ihm einen Köcher aus Hirschleder. Die beiden älteren Mädchen beteiligten sich am Wettkampf und waren ebenso geschickt wie ihre Brüder. Als Shigeru darüber eine Bemerkung machte â denn die meisten Otorimädchen lernten zwar reiten, doch er hatte noch nie Frauen gesehen, die in den Kriegskünsten unterwiesen wurden â, antwortete Eijiro mit seinem üblichen lauten Gelächter. »Meine Frau ist eine Seishuu. Im Westen lehren sie die Mädchen zu kämpfen wie die Männer. Das ist natürlich der Einfluss der Maruyama. Aber warum auch nicht? So bleiben die Mädchen gesund und stark und es scheint ihnen zu gefallen.«
»Erzählen Sie mir von Maruyama«, bat Shigeru.
»Es ist die letzte der groÃen westlichen Domänen, die in weiblicher Linie vererbt wird. Die gegenwärtige Regentin ist Naomi; siebzehn Jahre alt und seit kurzem verheiratet. Ihr Mann ist wesentlich älter und eng mit der Iidafamilie verwandt. Es scheint ein seltsames Bündnis zu sein; zweifellos hoffen die Tohan, die Domäne durch Heirat, Diebstahl oder Krieg an sich zu bringen.«
»Sind Sie dort gewesen?« Der Westen lag mindestens eine Wochenreise entfernt von Yamagata.
»Ja, ich war dort. Vor zwei oder drei Jahren habe ich einige Zeit bei den Eltern meiner Frau verbracht. Die Domäne ist reich, es wird Handel mit dem Festland getrieben und Kupfer und Silber abgebaut. Sie haben dort zwei Reisernten im Jahr â wir liegen dafür angeblich zu weit im Norden, aber ich will das trotzdem versuchen. Der Aufenthalt war ein Vergnügen. Ich habe viel gelernt, von neuen Ideen und Methoden erfahren.«
»Haben Sie Lady Naomi gesehen?« Aus irgendeinem Grund war sein Interesse an diesem Mädchen geweckt, das nicht viel älter war als er und regierte und kämpfte wie ein Mann.
»Ja, ich habe sie gesehen. Meine Frau stammt aus der Sugitafamilie, ihr Cousin Sugita Haruki ist Lady Naomis ältester Gefolgsmann. Meine Frau ist so alt wie Naomis Mutter und kennt Naomi seit ihrer Geburt. Und die Schwester meiner Frau ist Naomis engste Gefährtin. Lady Naomi ist eine bemerkenswerte junge Frau, intelligent und von groÃem Charme. Ich bin überzeugt, dass meine Frau die Erziehung der Mädchen nach ihrem Beispiel gestaltet hat.«
»Das hat ihnen sehr gut getan«, erwiderte Shigeru.
»Nun, sie sind nur eine blasse Kopie von Lady Naomi, und viele im Mittleren Land halten mich für einen Narren.« Eijiro bemühte sich, bescheiden zu wirken, doch den Stolz auf seine Kinder konnte er nicht ganz verbergen. Shigeru mochte ihn dafür nur noch mehr.
An diesem Abend aÃen sie Hirschfleisch â Bergwal , nannte Eijiro es lachend, denn viele Leute vom Land jagten, um ihre Nahrung mit Fleisch anzureichern, obwohl die Lehren des Erleuchteten, denen die Kriegerklasse folgte, das Töten vierbeiniger Tiere zum Verzehr verboten.
Shigeru bekam auch Geschenke: einen kleinen Dolch mit einer Stahlklinge, selbst gewebte indigoblaue Kleidung und Fässer voll Reiswein, die er dem Tempel übergeben sollte.
Weil er seinen Gastgeber besser kennenlernen wollte, stand er am nächsten Morgen früh auf und begleitete Eijiro bei seiner morgendlichen Besichtigung der Reisfelder und Gemüsegärten. Er bemerkte, wie der Ãltere mit den Landarbeitern sprach, um ihren Rat bat und sie gelegentlich lobte. Der gegenseitige Respekt fiel ihm auf.
So geht man mit den Menschen um , dachte er. Sie sind durch mehr als Sitte und Gesetz mit Eijiro verbunden. Aufmerksamkeit und Respekt stärken ihre Treue.
Shigeru stellte viele Fragen nach Eijiros Methoden, weil er fasziniert war von den ineinandergreifenden Systemen von Düngung und Ernte, ihrer Ãbereinstimmung mit dem Lauf der Jahreszeiten und der Steigerung der natürlichen Fruchtbarkeit des Landes. Kein Zoll Boden wurde vergeudet, doch die Erde wurde immer wieder neu gestärkt. Die Dorfbewohner, denen er begegnete, sahen wohlgenährt aus, ihre Kinder waren gesund und vergnügt.
»Der Himmel muss Ihren Methoden Beifall zollen«, sagte er, als sie wieder im Haus waren.
Eijiro lachte. »Der Himmel
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