Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
beizeiten löschen. Sie müssen morgen früh mit ihm reden.«
»Hätte ich gleich etwas sagen sollen?«
»Es war richtig, zuerst um Rat zu fragen«, antwortete Irie. »Meistens ist es besser, langsam und geduldig vorzugehen. Aber es gibt Momente, in denen man entschlossen handeln muss. Weisheit besteht darin zu wissen, welcher Kurs wann der richtige ist.«
»Mein Instinkt hat mir geraten, es sofort zu verbieten«, murmelte Shigeru. »Ich muss zugeben, dass ich überrascht war.«
»Ich auch. Ich bin überzeugt, Ihr Vater weià nichts davon.«
Shigeru schlief unruhig und war beim Aufwachen wütend auf Kitano, auf die Jungen, die er für Freunde gehalten hatte, und auf sich, weil er nicht sofort eingeschritten war. Sein Zorn wuchs, als das erbetene Gespräch mit Lord Kitano aufgeschoben wurde. Als man ihm endlich die Ankunft des Lords meldete, fühlte er sich beleidigt und hintergangen. Die üblichen Höflichkeiten kürzte er ab, indem er abrupt erklärte: »Ihre Söhne dürfen nicht nach Inuyama gehen. Das kann nicht im Interesse des Clans liegen.«
Er sah, wie Kitanos Blick sich verhärtete, und erkannte die Reizbarkeit des Mannes, mit dem er es zu tun hatte: Er war ehrgeizig, unnachgiebig und hinterlistig.
»Verzeihen Sie, Lord Shigeru, sie sind bereits abgereist.«
»Dann schickt ihnen Reiter nach und holt sie zurück.«
»Sie sind gestern Abend mit Lord Noguchi aufgebrochen«, sagte Kitano ausdruckslos. »Weil der Regen jetzt täglich beginnen kann, hielt man das für â¦Â«
»Sie haben sie weggeschickt, weil Sie wussten, dass ich es verbieten würde«, sagte Shigeru wütend. »Wie können Sie es wagen, mir nachzuspionieren?«
»Wovon mag Lord Shigeru reden? Es gab kein Spionieren. Es war schon lange verabredet, den zunehmenden Mond zu nutzen. Wenn Sie Einwände hatten, dann hätten Sie das gestern Abend sagen sollen.«
»Das werde ich nicht vergessen!«, zürnte Shigeru.
»Sie sind jung, Lord Shigeru, und â verzeihen Sie â unerfahren. Die Kunst der Staatsführung müssen Sie noch lernen.«
Shigerus Zorn explodierte. »Besser jung und unerfahren als alt und tückisch! Und warum ist Noguchi nach Inuyama gegangen? Welche Verschwörung ist da zwischen Ihnen und den Iida im Gang?«
»Sie beschuldigen mich in meinem eigenen Schloss einer Verschwörung?« Kitano reagierte ebenfalls mit Zorn, doch Shigeru lieà sich nicht einschüchtern.
»Muss ich Sie daran erinnern, dass ich der Clanerbe bin?«, erwiderte er. »Sie werden Boten nach Inuyama schicken und die Rückkehr Ihrer Söhne verlangen, und Sie werden ohne Wissen und Zustimmung von meinem Vater und mir mit den Tohan weder Verhandlungen führen noch andere Abmachungen treffen. Die gleiche Anweisung können Sie Noguchi zukommen lassen. Ich werde sofort nach Terayama abreisen. Lord Irie wird nach meiner Ankunft dort so bald wie möglich nach Hagi zurückkehren und meinen Vater informieren. Doch zuerst erwarte ich von Ihnen, dass Sie mir und dem Clan der Otori erneut Treue schwören. Ihr Verhalten missfällt mir und beleidigt mich. Ich glaube, mein Vater wäre der gleichen Meinung. Ich erwarte von jetzt an Ihre völlige Loyalität. Sollten meine Wünsche nicht erfüllt werden und weitere Verfehlungen dieser Art vorkommen, haben Sie und Ihre Familie mit Strafe zu rechnen.«
Die Worte klangen selbst in seinen Ohren hohl. Wenn Kitano oder Noguchi zu den Tohan überliefen, konnten sie nur mit kriegerischen Mitteln zurückgehalten werden. Er sah, dass seine Zurechtweisung verstanden worden war: Kitanos Augen funkelten vor Wut.
Ich habe ihn mir zum Feind gemacht, dachte Shigeru, während der Ãltere sich zu Boden warf, Treue und Gehorsam schwor und um Verzeihung bat. Das alles ist Täuschung. Sowohl seine Reue wie seine Treue sind geheuchelt.
»Wie hat Kitano von meiner Entscheidung erfahren?«, fragte er Irie, nachdem sie Tsuwano verlassen hatten.
»Vielleicht hat er sie erraten; vielleicht hat er uns gestern Abend nachspionieren lassen.«
»Wie kann er das wagen!« Shigeru spürte, wie seine Wut wieder aufflammte. »Er sollte gezwungen werden, sich den Bauch aufzuschlitzen; seine Ländereien sollten beschlagnahmt werden. Aber du hast doch selbst nachgesehen, ob wir belauscht werden!«
Kurz kam ihm der Gedanke, dass auch Irie
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