Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
wieder sichtbar wird. Angehörige des Stamms werden besonders von den Tohan als Spione und Attentäter genutzt. Sie sind äuÃerst tüchtig.«
»Benutzen die Otori sie?«, fragte Shigeru.
»Gelegentlich, aber nicht so oft wie die anderen.« Shigemori seufzte. »Diese Frau erzählte mir, dass sie aus der Familie der Kikuta stamme â die Linien auf den Handflächen seien für diese Familie charakteristisch. Sie sagte, sie sei tatsächlich aus Inuyama als Spionin hergeschickt worden. Sie gab das ganz ruhig zu, als wäre es auf keinen Fall das Wichtigste, das sie mir sagen wollte. Ich schwieg, ich war völlig schockiert. Es war, als hätte mich ein Geist von jenseits des Himmels oder eine Gestaltwandlerin gefangen. Sie nahm meine Hand und wollte, dass ich mich zu ihr setzte. Sie sagte, sie müsse mich verlassen, wir würden einander nie wiedersehen â doch sie liebe mich und trage in sich den Beweis unserer Liebe: mein Kind. Ich dürfe es nie jemandem sagen. Wenn die Wahrheit je herauskäme, müssten sie und das Kind sterben. Sie lieà es mich schwören. Durch Schreck und Leid schwanden mir fast die Sinne. Ich versuchte sie in die Arme zu nehmen, dabei packte ich sie grob, vielleicht mit dem Gedanken, sie lieber zu töten als zu verlieren. Aber sie schien sich unter meiner Berührung aufzulösen. Ich hielt sie â dann waren meine Arme leer und ich umschlang nur die Luft. Die Frau war fort. Ich sah sie nie wieder.
Das ist mehr als dreiÃig Jahre her, aber ich habe nie aufgehört, mich nach ihr zu sehnen. Inzwischen ist sie mit groÃer Wahrscheinlichkeit tot â und unser Kind, wenn es am Leben blieb, ist in den mittleren Jahren. Ich träume oft von ihm â ich bin überzeugt, dass es ein Sohn war. Ich bin voller Angst, dass er eines Tages auftaucht und mich als seinen Vater beansprucht, und voll Trauer weià ich, dieser Tag wird nie kommen. Es ist wie eine chronische Krankheit gewesen, für die ich mich verachte. Ich habe eine Heirat verschoben, solange es möglich war â wenn ich sie nicht haben konnte, dann wollte ich gar keine Frau. Ich habe nie jemandem von dieser Schwäche erzählt und ich vertraue darauf, dass du es nie weitererzählen wirst. Als ich deine Mutter heiratete, dachte ich, ich würde darüber hinwegkommen. Doch die vielen totgeborenen Kinder und das Leid deiner Mutter, ihr Wunsch zu empfangen und ihre Angst, kein lebendes Kind zu gebären, lieÃen keine Zufriedenheit zwischen uns aufkommen. Ich sehnte mich die ganze Zeit nach dem einen lebenden Kind, das für immer für mich verloren war.
Natürlich trösteten mich deine Geburt und die von Takeshi«, fügte Shigemori hinzu, aber die Worte klangen hohl. Shigeru spürte, dass er in der folgenden Stille etwas sagen sollte, aber es fiel ihm nichts ein. Das Verhältnis zu seinem Vater war nie eng gewesen; er hatte keine Worte, die er gebrauchen, kein Muster, dem er folgen konnte.
»Ein Fehler genügt, um ein Leben zu vergiften«, sagte Lord Otori bitter. »Männer sind am törichtsten und am leichtesten verletzbar, wenn sie sich von ihren Vernarrtheiten leiten lassen. Ich erzähle dir das alles in der Hoffnung, dass du die Falle meidest, in die ich gestürzt bin. Ich schicke dich zu Matsuda nach Terayama. Dort wirst du keine Frauen finden. Die Disziplin des Tempellebens und Matsudas Unterweisungen werden dich lehren, deine Begierden zu kontrollieren. Wenn du zurückkehrst, werden wir eine geeignete Konkubine finden, in die du dich nicht verlieben wirst, und danach eine passende Ehefrau â vorausgesetzt, wir sind bis dahin nicht im Krieg gegen die Tohan. In diesem Fall werden wir unsere persönliche Zufriedenheit zurückstellen und uns auf die Kriegskunst konzentrieren müssen.«
KAPITEL 7Â
Wenige Tage danach waren die Reisevorbereitungen getroffen und Shigeru brach mit Irie Masahide auf nach Terayama, wo sie vor der Regenzeit mit ihrer unangenehmen schwülen Wärme eintreffen wollten. Pferde und Männer wurden in groÃen flachen Booten über den Fluss gebracht. Von der Steinbrücke waren bereits drei der vier Bögen vollendet. Sie wird fertig sein, wenn ich zurückkomme , dachte Shigeru.
Die Reise nach Tsuwano würde drei Tage dauern; die StraÃe folgte dem Flusstal zwischen den Hügelketten, doch hinter Tsuwano, wo das Land viel gebirgiger wurde,
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