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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Frühlingsgras stand hoch und grün, von blühendem Unkraut durchsetzt, die Kirschblüte hatte ihren Höhepunkt gerade hinter sich, der Boden war mit weißen und rosa Blütenblättern bedeckt wie ein Spiegelbild der Blüten, die noch an den Ästen hingen.
    Lady Maruyama und Sachie saßen auf den mit Kissen belegten Steinen um den Teich. Seerosen- und Lotosblätter lagen auf seiner Oberfläche und an seinem Rand blühten ein oder zwei tiefviolette frühe Iris.
    Naomi schaute auf, als sie seinen Schritt hörte, und ihre Blicke trafen sich. Er sah, wie alle Farbe aus ihrem Gesicht wich und ihre Augen glänzten, als wäre sein Anblick ein körperlicher Schlag. Er fühlte das Gleiche, kaum konnte er atmen.
    Sachie flüsterte etwas und Naomi nickte, ohne denBlick von Shigerus Gesicht zu wenden. Sachie stand auf, nickte Shigeru zu und verschwand im Schrein.
    Sie waren allein. Er setzte sich neben sie, auf Sachies Platz. Sie lehnte sich an ihn und legte ihren Kopf auf seine Schulter, ihr Haar fiel über seine Brust. Er strich mit den Fingern hindurch und streichelte ihren Nacken. So saßen sie lange Zeit, ohne ein Wort zu sagen, und horchten auf den Atem und Herzschlag des anderen.
    Die Sonne ging unter und die Luft wurde kühler. Naomi bog sich zurück und schaute ihm in die Augen.
    Â»Gerade bevor du gekommen bist, ist ein Reiher am Teichrand gelandet. Sachie und ich hielten es für ein Zeichen deiner baldigen Ankunft. Wenn du heute Abend nicht gekommen wärst, wäre ich morgen abgereist. Wie lange kannst du bleiben?«
    Â»Fischer aus Hagi haben mich hergebracht. Sie kommen in vier Tagen zurück.«
    Â»Vier Tage!« Ihr Gesicht leuchtete noch mehr. »Das ist eine Ewigkeit!«
    Viel später erwachte er, hörte das Meer an den Kies branden und die Geräusche der Nacht aus dem Gehölz rundum. Er hörte die Pferde stampfen, wenn sie ihr Gewicht verlagerten. Naomi war ebenfalls wach. Er sah das Mondlicht, das den Garten durchdrang, in ihren Augen schimmern. Ein paar Momente beobachteten sie einander. Dann sagte Shigeru leise: »Wo warst du mit deinen Gedanken?«
    Â»Du wirst mich auslachen«, antwortete sie. »Ich dachte an Lady Tora von Oiso, die in Liebe ertrank.«
    Sie bezog sich auf die bekannte Geschichte der Sogabrüder, ihrer Rache und der Frauen, die sie liebten.
    Â»Juro Sukenari wartete achtzehn Jahre auf seine Rache, nicht wahr? Ich werde ebenso lange warten, wenn es nötig ist«, flüsterte Shigeru.
    Â»Aber Juro starb – sein Leben schwand mit dem Tau auf den Wiesen«, antwortete Naomi mit einem Zitat aus der Ballade, die bei blinden Sängern beliebt war. »Den Gedanken an deinen Tod kann ich nicht ertragen.«
    Da nahm er sie in die Arme; der Tod war noch nie so fern, das Leben nie so wünschenswert erschienen. Doch sie zitterte und hinterher weinte sie.
    Der nächste Tag war schwül, für die Jahreszeit zu heiß. Shigeru stand früh auf und schwamm im Meer. Als er zurückkam, zog er sich nicht ganz an, sondern ging halb bekleidet hinter den Schrein und begann mit den Übungen, die er von Matsuda gelernt hatte. Körper und Geist waren müde, leicht betäubt, ausgelaugt von den Erschütterungen der Leidenschaft. Er dachte an das kurze Gespräch in der Nacht. Erst zwei Jahre waren vergangen seit seines Vaters Tod und dem Verrat von Yaegahara. Konnte er wirklich die Vorspiegelungen seines gegenwärtigen Lebens so viele weitere Jahre aufrechterhalten? Und zu welchem Zweck? Er konnte keine Armee gegen Iida aufstellen. Nie würde er ihm in einer Schlacht begegnen oder überhaupt in einer Situation, in der er ihm nahe genug kam, um ihn niederzuschlagen. Er könnte Iidas Verdacht gegen sich zerstreuen, aber wie sollte er das ausnützen? Er war wohl ein besserer Schwertkämpfer als Iida, obwohl auch daszweifelhaft erschien an diesem Morgen, an dem er so müde und langsam war, aber er hatte nicht die Fähigkeiten, ihn zu überraschen, ihn aus dem Hinterhalt zu überfallen …
    Ihn zu ermorden.
    Die Idee kam ihm immer wieder. Jetzt bemerkte er sie nur kurz und konzentrierte sich dann wieder auf die Übungen. Nach einigen Momenten wurde ihm bewusst, dass ihn jemand beobachtete. Er drehte sich mit der nächsten Bewegung um und sah Naomi unter den Bäumen.
    Â»Wo hast du das gelernt?«, fragte sie und dann: »Bringst du es mir bei?«
    Sie verbrachten

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