Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
freundlichere Menschen kamen«, murmelte Naomi.
»Die Männer, die mich herbrachten, haben mir erzählt, dass die Dorfbewohner Verborgene sind«, sagte Shigeru ebenso leise. »Ich glaube, sie haben unter ebendiesen Männern gelitten. Ich werde dafür sorgen, dass das aufhört.«
»Sie leben so isoliert und so wehrlos«, sagte Naomi. »Wir können sie vom Land aus beschützen â jedes Jahr führen wir Feldzüge gegen Banditen und Gesetzlose in diesen und anderen abgelegenen Teilen der Domäne â aber wir haben weder die Schiffe noch die Menschen, um die Piraten zu bekämpfen.«
»Sie sind keine Piraten«, entgegnete Shigeru. »Noch nicht. Aber sie sind voll eigener Sorgen, deshalb plündern sie die aus, die schwächer sind als sie. Ich werde mit ihrem Anführer reden und ihm befehlen, sie unter Kontrolle zu halten. Sein Sohn hat mir auch eine Geschichte erzählt«, fügte er hinzu. »Er ist ein Junge von etwa acht, Fumio. Sein Vater betet ihn an und nimmt ihn überallhin mit.«
»Erzähl sie uns!«, sagte Naomi.
Es war um die erste Hälfte der Stunde des Hundes. Die Nacht war herabgesunken. Es ging kein Wind unddie Wellen murmelten gedämpft. Ein Eulenpaar tauschte Rufe von den alten Zedern und einige Frösche quakten aus dem Teich. Hin und wieder flitzte ein kleines Geschöpf durch die Balken. Die flackernden Lichter warfen ihre Schatten auf sie, als würden ihnen die Toten Gesellschaft leisten.
Shigeru begann seine Geschichte: »Einmal ging ein Junge mit seinem Vater zum Fischen. Ein Sturm brach unerwartet los und sie wurden weit hinaus ins Meer getrieben. Der Vater gab seinem Sohn, was er an Proviant und Wasser hatte, deshalb starb der Mann nach vielen Tagen, doch das Kind lebte. SchlieÃlich wurde das Boot an die Küste einer Insel getrieben, wo ein Drache lebte. Das Kind rief seinem Vater zu: âºWach auf, Vater, wir sind gerettet!â¹
Doch der Vater erwachte nicht. Der Junge rief immer lauter, so laut, dass er den Drachen weckte, der an den Strand kam und sagte: âºDein Vater ist tot. Du musst ihn begraben und ich werde dich nach Hause bringen.â¹
Der Drache half dem Jungen, den Vater zu beerdigen, und danach sagte der Junge: âºIch kann das Grab meines Vaters nicht verlassen. Lass mich hierbleiben und ich werde dein Diener sein.â¹
âºIch weià nicht, was du für mich tun kannstâ¹, erwiderte der Drache. âºIch bin nämlich ein mächtiger Drache und du bist nur ein Mensch, noch dazu ein kleiner.â¹
âºVielleicht kann ich dir Gesellschaft leistenâ¹, schlug der Junge vor. âºEs muss einsam sein, so ganz allein auf dieser Insel. Und wenn du stirbst, werde ich dich begraben und für dich an deinem Grab beten.â¹
Der Drache lachte, denn er wusste, dass die Lebenszeit eines Drachen die eines Menschen weit übersteigt, doch die Worte des Jungen rührten ihn. âºSehr gutâ¹, sagte er. âºDu kannst hierbleiben und mir sein, was du deinem Vater warst.â¹
Der Drache zog den Jungen als seinen Sohn auf und der Junge wurde ein groÃer Zauberer und Krieger. Und eines Tages wird er erscheinen, sagt Fumio, und aller Grausamkeit und Ungerechtigkeit ein Ende machen.«
»Sogar aus den Geschichten, die Kinder erzählen, hören wir die Sehnsucht der Menschen nach Frieden heraus«, sagte Naomi.
Als sie in der vergangenen Nacht zusammengelegen hatten, war ihr Begehren überwältigend und unbeherrschbar gewesen. In dieser Nacht waren beide nachdenklicher und sich mehr bewusst, welche Risiken sie eingingen und wie verrückt das war, was sie wagten.
»Ich habe Angst, dass wir ein Kind zeugen«, gestand Shigeru. »Obwohl ich mich danach sehne.«
»Ich glaube nicht, dass ich in dieser Woche empfangen werde«, entgegnete Naomi. »Aber wenn â¦Â« Sie unterbrach sich, unfähig, ihre Absicht auszusprechen, aber er wusste, was sie meinte, und war voll Sorge und Wut.
Nach kurzer Stille sagte sie: »Ich sehne mich danach, dir Kinder zu schenken. Ich dachte daran, als du von Fumio erzählt hast â du musst dir so sehr einen Sohn wünschen! Vielleicht werden wir nie heiraten können. Ich fürchte, wir werden uns immer nur Momente wie diese stehlen können und es werden sehr wenige sein, mit langen Wartezeiten dazwischen und immer so gefährlich. Es zerreiÃt mir das Herz, das zu sagen, aber du solltest
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