Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
denn der Nachmittag war sehr warm geworden, dann setzte sie sich und versuchte sich zu beruhigen.
Sachie kam mit Mariko zurück. Das Mädchen begrüÃte die Mutter förmlich, verneigte sich tief, dann umarmte sie sie fest. Naomi spürte wie immer die groÃe Erleichterung fast wie Milch, die in die Brust strömt, dass ihr Kind am Leben war, sicher, nahe genug, um sie zu umarmen, ihr das Haar aus der Stirn zu streichen, ihrin die Augen zu schauen und ihren süÃen Atem zu riechen.
»Lass dich anschauen«, rief sie. »Du wächst so schnell. Du siehst blass aus. Geht es dir gut?«
»Es ist mir recht gut gegangen. Im vergangenen Monat hatte ich eine Erkältung und der Husten blieb zurück. Jetzt, wo der Winter endlich vorbei ist, geht es mir besser. Aber auch du siehst ein wenig blass aus, du warst doch nicht krank?«
»Nein, ich bin nur müde von der Reise. Und natürlich so bewegt, dich zu sehen.«
Mariko lächelte, während ihre Augen von Tränen glänzten.
»Wie lange wirst du bleiben?«
»Nicht lange diesmal, fürchte ich.« Sie sah, wie Mariko sich anstrengte, ihre Enttäuschung zu verbergen. »Ich muss Dinge erledigen in Maruyama«, erklärte sie und spürte, wie ihr Bauch sich vor Angst verkrampfte.
»Ich hoffte, du würdest bleiben, bis die Regenzeit vorüber ist. Es ist so traurig hier, wenn es jeden Tag regnet.«
»Ich muss zurückreisen, bevor sie beginnt«, sagte Naomi. »Sie darf mich nicht aufhalten.«
Denn die Regenzeit konnte fünf oder sechs Wochen dauern und sie würde diese Zeit unter den Frauen des Haushalts verbringen müssen, die jede Einzelheit vom Leben ihrer Hausgenossinnen wussten und bei denen jede sich einer Sitte der Tohan folgend zurückziehen musste bei ihrer monatlichen Blutung. Diese Frauen hatten so wenig zu tun, dass sie von ihnen Tag und Nacht beobachtet und studiert würde. Naomi fürchtete ihre Langeweile und ihre Bosheit.
»Sachie hat dir noch mehr Bücher mitgebracht«, sagte sie munter. »Du wirst genug Beschäftigung haben, während der Regen dich ins Haus sperrt. Aber erzähl mir deine Neuigkeiten. Wie geht es Lady Iida?«
»Sie ist im Winter sehr krank gewesen, eine Lungenentzündung. Ich hatte Angst um sie.« Mariko senkte die Stimme zu einem Flüstern. »Ihre Dienerinnen sagten, wenn sie sterben sollte, würde Lord Iida sich zwischen dir und mir entscheiden müssen.«
»Aber, dem Himmel sei Dank, sie lebt noch und wir hoffen, dass ihr noch viele Jahre in Gesundheit geschenkt werden. Wie geht es ihrem kleinen Jungen? Der Vater muss stolz auf ihn sein.«
Mariko senkte den Blick. »Leider ist er ein zartes Kind. Er hat nichts für das Schwert übrig und fürchtet sich vor Pferden. Jetzt ist er sieben. Andere Jungen bekommen in diesem Alter schon eine Kriegerausbildung, doch er klammert sich an seine Mutter und seine Kinderfrau.«
»Das ist traurig. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lord Iida viel Geduld mit ihm hat.«
»Nein, vor seinem Vater hat der Junge mehr Angst als vor allem anderen.«
Naomi traf das Kind, Katsu, später beim Abendessen mit Lady Iida. Die Kinderfrau brachte den Kleinen herein, aber er weinte und wimmerte und wurde bald wieder weggebracht. Er wirkte nicht sehr intelligent und war bestimmt weder selbstbewusst noch tapfer.
Das Kind und seine Mutter taten ihr leid. Alle Männer erwarteten von ihren Frauen Söhne, aber wie oft waren diese Söhne eine Enttäuschung oder eine Bedrohung! Iida würde beiden das Leben zur Qual machen. Sie versuchte, nicht daran zu denken, was das für ihre eigene Situation bedeuten könnte. Wenn Iida nur glücklich verheiratet wäre und Dutzende von Söhnen hätte! Seine Unzufriedenheit brachte ihn auf den Gedanken, seine Ehefrau auszutauschen, und richtete seine Aufmerksamkeit stärker auf sie. Aber Naomi wollte sich nicht mit diesen Dingen befassen, damit ihre eigenen Hoffnungen und Ãngste nicht ihre Haltung beeinflussten und sie verrieten.
Am nächsten Morgen wurde sie zu Iida gerufen und von einem Mann begleitet, der, wie sie wusste, einer seiner Günstlinge war.
»Lord Abe«, grüÃte sie ihn, obwohl die Anrede Lord für ihn eine Schmeichelei sein musste, aber Iida ehrte ihn weit über den Rang seiner Familie hinaus.
Er verbeugte sich nachlässig. Naomi vermutete, dass er wie die meisten Krieger des
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