Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Ostens wenig Respekt für die Tradition der Maruyama hatte und sie als eine Ausnahme betrachtete, die so schnell wie möglich entfernt werden musste.
Wie schnell würde ihr Sturz sein, wie groà die Demütigung, wenn jemand von dem Kind erfuhr. Sie würde sich das Leben nehmen müssen. Iida würde ihre Tochter heiraten und Maruyama würde an die Tohan übergehen. Aber mich zu töten würde bedeuten, dass ich die Hoffnung aufgegeben habe, sagte sie sich, und das habe ich nicht, noch nicht. Ich werde alles in meiner Macht stehende tun, um Iida gestürzt, Shigeru wieder als Clanoberhaupt zu sehen, und mit ihm als seine Frau zu leben. Und dann wird es keine Grausamkeit mehr geben, keine Folter, keine Geiseln.
Mit dem erneuerten Entschluss, seiner Tyrannei zu widerstehen, trat sie in den Empfangsraum, sank auf die Knie, zog sich in sich selbst zurück und verbarg ihren Hass auf ihn hinter der anmutigen und verbindlichen Haltung einer schönen Frau.
Iidas Augen musterten sie und sie spürte sein Interesse und sein Begehren.
»Bitte setzen Sie sich, Lady Maruyama. Ich bin so entzückt, Sie wiederzusehen.«
Er war viel höflicher als sein Untergebener. Er war der älteste Sohn einer alten Familie und seit seiner Kindheit in diesen Dingen geschult worden. AuÃerdem kannte er alle verschiedenen Formen menschlichen Austauschs und bediente sich der Höflichkeit, wie er die Grausamkeit benutzte â zu seinen eigenen Zwecken und seiner eigenen Genugtuung. Doch die höflichen Worte klangen unglaubwürdig in seinem harten östlichen Akzent und sie war weder geschmeichelt noch entwaffnet.
»Ich bin natürlich mit dem gröÃten Vergnügen nach Inuyama gekommen«, entgegnete sie. »Ich bin Lord und Lady Iida so dankbar, dass sie sich meiner Tochter annehmen.«
»Sie scheint ein gesundes Mädchen zu sein und wächst rasch heran, doch was die Schönheit angeht, kann sie sich mit ihrer Mutter nicht vergleichen.«
Sie gab keine Antwort, verbeugte sich nur zur Würdigung des Kompliments.
Iida fuhr fort: »Ich hoffe, Sie beehren uns viele Wochen lang mit Ihrer Anwesenheit.«
»Lord Iida ist äuÃerst gütig. Doch ich muss recht bald nach Maruyama zurückkehren, weil ich dort Dinge zu erledigen habe. Der Jahrestag des Todes meines Vaters nähert sich, dazu kommen andere Verpflichtungen.«
Er sagte nichts, beobachtete sie nur weiter mit versteckter Belustigung.
Er weià von Shigeru , dachte sie und spürte, wie das Blut aus ihrem Gesicht wich, während ihr Herz hämmerte. Doch sie zeigte nichts von ihren Ãngsten, wartete einfach gelassen auf seine nächsten Worte und erinnerte sich, dass es zu seiner Strategie gehörte, so zu tun, als wisse er alles über einen Menschen, bis derjenige zusammenbrach und weitaus mehr gestand, als Iida vermutet hatte. Das kam einer Verurteilung aus eigenem Mund gleich.
SchlieÃlich brach Iida das Schweigen. »Was gibt es Neues im Westen? Ich nehme an, Sie haben in Noguchi Rast gemacht. Ich hoffe, Noguchi hat Arai unter Kontrolle.«
»Lord Arai ist jetzt einer von Lord Noguchis vertrauenswürdigsten Gefolgsleuten«, erwiderte sie.
»Und was hören Sie von den Otori?«
»Sehr wenig. Ich habe seit Jahren ihre Domäne nicht betreten.«
»Aber wie ich höre, haben Sie eine Vorliebe für Reiher.«
»Ich sah eins dieser Geschöpfe des Himmels leiden«, antwortete sie leise. »Ich verstand nicht, was das heiÃen sollte.«
»Aber Sie verstehen es jetzt? âºTreue zum Reiherâ¹. Es ist fast lächerlich. Diese Leute wissen nicht, was aus Shigeru geworden ist. Ich wette, sie würden keinem Banner folgen, auf dem steht: âºTreue zum Bauernâ¹!«
Er lachte und wartete auf ihr Lächeln. »Dem Vernehmen nach züchtet der Bauer eine gute Sesamsorte«, spottete er.
Er weià nichts, erkannte sie.
»Ich nehme an, Sesam ist ein nützlicher Samen«, sagte sie und tat verächtlich.
»Der Bauer Shigeru ist viel nützlicher, als es der Krieger je war«, murmelte Iida. »Trotzdem wäre ich glücklicher, wenn er tot wäre.«
Sie brachte es nicht über sich zuzustimmen, zog nur leicht die Augenbrauen hoch und lächelte.
»Einst hatte er einen gewissen Ruf als Schwertkämpfer«, sagte Iida. »Jetzt reden die Leute von seiner Integrität und Ehre. Ich hätte ihn gern in meiner Gewalt,
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