Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
gnädig sind, dass wir ihre Arbeit vollenden dürfen.«
Sie machten aus, sich dort einige Tage nach dem Sternenfest zu treffen. Takeshi würde von Yamagata kommen, Shigeru wollte den nördlichen Weg über Yaegahara nehmen.
»Jetzt muss ich zu meiner Tase gehen und ihr die guten Neuigkeiten bringen«, sagte Takeshi. »Sie wird sich freuen, wenn wir nach Yamagata reisen. Sie möchte, dass ich ihre Familie kennenlerne. Ich treffe dich am Lager des Ungeheuers.«
»Bis dann«, erwiderte Shigeru und die Brüder umarmten sich.
Shigeru wollte sofort aufbrechen, doch während er Vorbereitungen für seine Abreise traf, begann seine Mutter zu klagen, sie fühle sich nicht wohl. Sie litt häufig unter der Sommerhitze und Shigeru glaubte nicht an Ernsteres. Dann erzählte ihm Chiyo, dass ein heftiges Fieber umging, an dem viele Menschen in Hagi starben.
»Fast von einem Tag zum anderen«, sagte sie mit düsterer Vorahnung. »Am Morgen geht es ihnen gut, am Abend verbrennen sie innerlich und beim Morgengrauen sind sie tot.«
Sie ermunterte ihn, sofort aufzubrechen, um sich zu schützen.
»Mein Bruder ist schon weggegangen. Ich kann es nicht zulassen, dass meine Mutter stirbt, wenn keiner ihrer Söhne anwesend ist«, entgegnete Shigeru. Er hatte nun groÃe Sorgen um sie und bedauerte gleichzeitig,dass er wegen ihrer Krankheit zu spät zu der Verabredung mit seinem Bruder kommen würde.
»Soll ich Lord Takeshi benachrichtigen?«, fragte Chiyo.
»Besteh darauf, dass er nicht nach Hause kommt«, antwortete Shigeru. »Es hat keinen Sinn, dass er eine Ansteckung riskiert.«
In dieser Nacht starben zwei Diener des Haushalts und am nächsten Morgen folgte ihnen Lady Otoris Dienerin in die andere Welt. Als Shigeru ins Zimmer seiner Mutter kam, sah er, dass auch sie dem Tod nahe war. Er sprach sie an, sie öffnete die Augen und schien ihn zu erkennen. Er dachte, sie wolle ihm antworten. Sie runzelte leicht die Stirn, dann murmelte sie: »Sag Takeshi â¦Â«, sprach aber nicht weiter. Zwei Tage später war sie tot. Am nächsten Tag spürte Shigeru, wie das Verhängnis über ihn kam. Er hatte heftiges Kopfweh und konnte nichts essen.
Als seine Mutter begraben wurde, lag Shigeru in Delirien, hatte hohes Fieber und schreckliche Halluzinationen, und sein Zustand verschlimmerte sich durch seine quälende Angst, Takeshi würde zum Lager des Ungeheuers gehen und ihn dort nicht vorfinden.
Chiyo verlieà ihn selten, sie kümmerte sich um ihn wie damals, als er ein Kind gewesen war. Manchmal kamen Priester an die Tür und sangen. Chiyo verbrannte Weihrauch und braute bittere Tees, schickte nach einem Geistermädchen und murmelte Zaubersprüche und Beschwörungen.
Als er sich langsam wieder erholte, erinnerte er sich, wie sie neben ihm geweint hatte, wie es ihm vorgekommen war, als seien die Tränen die ganze Nacht gefallen,als sie allein im Kampf gegen den Tod waren und alle Förmlichkeiten zwischen ihnen wegfielen.
»Du hättest gar nicht so viel zu weinen brauchen«, sagte er. »Deine Zaubersprüche haben geholfen. Mir geht es wieder gut.« Er hatte sich stark genug für ein Bad gefühlt und saà in einem leichten Baumwollgewand â denn es war immer noch sehr heiàâ auf der Veranda, während der Raum droben, in dem er so viele Krankheitstage verbracht hatte, geputzt und gereinigt wurde.
Chiyo hatte Tee und Obst gebracht. Obwohl sie sich freute, dass es ihm besser ging, waren ihre Augen noch gerötet und geschwollen. Sie schaute ihn an und konnte sich nicht beherrschen. Er sah, dass ihre Trauer etwas anderem galt und Angst durchfuhr ihn.
»Was ist geschehen?«
»Verzeihen Sie mir«, ihre Stimme wurde von Schluchzern gebrochen. »Ich werde Ichiro zu Ihnen schicken.«
Shigeru wartete mit wachsender Angst auf seinen alten Lehrer. Das Gesicht des Mannes beruhigte ihn nicht, es war so traurig wie das von Chiyo. Doch seine Stimme war fest und er redete mit seiner üblichen Selbstbeherrschung, ohne vor dem Schlag zurückzuzucken oder zu versuchen, ihn weniger schmerzhaft zu machen.
»Lord Takeshi ist tot. Von Matsuda Shingen ist ein Brief gekommen. Er ist in Yamagata gestorben und in Terayama begraben.«
Shigeru dachte törichterweise, er wird nicht auf mich warten. Darüber muss ich mir keine Sorgen machen. Dann hörte er nichts mehr als das Geräusch des
Weitere Kostenlose Bücher