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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Provokation musste mit gleicher Kühnheit und Entschlossenheit beantwortet werden, das war der einzige Weg, sie zu beenden.
    Wie immer und zu Shigerus Unbehagen waren seine Onkel bei dem Treffen anwesend, das Lord Shigemori einberufen hatte, um über die richtige Reaktion der Otori zu entscheiden. Er fand, da er jetzt erwachsen war und seinen Vater beraten konnte, war die Anwesenheit seiner Onkel überflüssig. Es erweckte den Anschein, als sei nicht klar, wer den Clan tatsächlich führte, und dass Shigemori nichts zu tun wagte ohne das Einverständnis seiner Brüder. Wieder rieten die Onkel zur Beschwichtigung und bekräftigten erneut ihre Ansichten über die Stärke der Tohan und die Gefahren, Iida so bald nach Miuras unglücklichem Tod zu beleidigen. Als Shigeru zu Wort kam, sagte er nachdrücklich seine Meinung und wurde von den erfahrenen Gefolgsleuten Irie und Miyoshi unterstützt.
    Doch die Debatte ging weiter. Shigeru erkannte, wie geschickt seine Onkel mit dem Vater spielten; immer schienen sie nachzugeben, schmeichelten ihm, doch in Wahrheit zermürbten sie ihn nur mit ihrer ständigen Argumentation. Immer behaupteten sie, ihr einziges Ziel sei das Gedeihen des Clans, aber er fragte sich, was ihre geheimen Herzenswünsche sein mochten. Welchen Nutzen würde ihnen die Besänftigung der Tohan bringen?Ihm drängte sich der Gedanke auf, sie könnten seinen Vater und ihn entmachten wollen – eine solche Niedertracht erschien unglaublich und er konnte sich nicht vorstellen, dass der Clan es zulassen würde, doch zugleich sah er, wie unfähig sein Vater geworden war. Er fürchtete, pragmatische Männer wie Endo und Miyoshi würden einen stärkeren Anführer zwar nicht aktiv suchen, aber ohne Zweifel akzeptieren. Und das wird kein anderer sein als ich, schwor er sich.
    Sie saßen in einer großen Halle hinter dem eigentlichen Schloss. Früher am Tag hatte es geregnet, aber jetzt schien die Sonne und es war sehr heiß. Shigeru hörte das Meer an die Mauer hinter dem Garten branden. Alle Türen standen offen und die tiefen Veranden waren kühle Schattenteiche, hinter denen das Sommerlicht glänzte, das den Blättern ein tieferes Grün verlieh und die Farben der Blumen – Glyzinien und Lotos – intensivierte. Die Diskussion dauerte den ganzen Nachmittag, während die Hitze noch zunahm, das Schrillen der Zikaden schneidender klang und die Männer gereizter wurden.
    Schließlich sagte Lord Shigemori gerade vor Sonnenuntergang, dass er die Debatte gern vertagen würde, bis er sich mit einem Schamanen beraten hatte, der glücklicherweise gerade den Schrein im Wald hinter dem Schloss besuchte. Ein Bote wurde dorthin geschickt und Shigemori beendete die Sitzung, am folgenden Tag würde sie fortgesetzt und mit einer Entscheidung abgeschlossen werden.
    Shigeru trennte sich mit der spärlichsten nötigen Höflichkeit von Vater und Onkeln und ging in den Garten, um seinen Zorn abzukühlen. Die Sonne sank hinterden Hügel im Westen der Bucht, doch die Luft war noch drückend. Seine Haut juckte unter den formellen Gewändern und er hatte Kopfschmerzen.
    Am anderen Ende des Gartens saß Takeshi auf der Steinmauer und schaute hinaus aufs Meer. Shigeru sah seinen Bruder selten so still dasitzen, offenbar fühlte er sich unbeobachtet und war in Gedanken vertieft. Er betrachtete ihn einen Augenblick und fragte sich, wie das Leben seines Bruders verlaufen würde. Takeshi stand so oft im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, wurde bewundert und gelobt, doch er war nicht der Clanerbe, und wenn Shigeru nichts zustieß, würde er nie die Macht haben, die er offensichtlich ersehnte – und für die er geschaffen schien. In der Chronik des Clans waren viele Fälle von Bruderkämpfen verzeichnet, bei denen es um Macht ging, in denen jüngere Geschwister sich gegen die älteren wandten, sie überwältigten und töteten – oder besiegt, getötet oder zum Selbstmord gezwungen wurden. Die Brüder seines Vaters erwiesen sich in Shigerus Augen als unzuverlässig. Sie waren Halbbrüder, das stimmte, Kinder einer anderen Mutter, doch vielleicht wiederholte sich hier ein unentrinnbarer Teil der Otorigeschichte, der auch der nächsten Generation bevorstehen könnte? Was wäre, wenn Takeshi ihn verriet?
    Wie konnte er dafür sorgen, dass sein Bruder beschäftigt war und alle seine

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