Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Köpfen nach unten und kreisten langsam im Rauch von Feuern, die unter ihnen angezündet waren. Die Gesichter waren geschwollen und versengt, die Augen quollen aus geröteten Höhlen und vergossen sinnloseTränen, die von der Hitze sofort getrocknet wurden. Es beschämte Shigeru, wie sie litten, dass sie schlimmer als Tiere behandelt werden konnten, dass ihnen solche Pein, solche Demütigung zugefügt werden konnte und sie trotz allem Menschen waren. Mit seltsamer Sehnsucht dachte er an den schnellen und gnädigen Tod durch das Schwert und betete, dass er einen solchen Tod sterben werde.
»Schneide sie ab«, sagte er. »Wir werden sehen, ob einige von ihnen gerettet werden können.«
Es waren insgesamt fünfzehn: sieben Männer, vier Frauen und vier Kinder. Drei der Kinder und alle Frauen waren schon tot. Das vierte Kind, ein Junge, starb sofort, als sie ihn herunterhoben und ihm das Blut in den Körper zurückfloss. Fünf Männer lebten noch, zwei, weil ihnen die Schädel geöffnet worden waren, damit das Hirn nicht weiter anschwellen konnte. Einem von ihnen war die Zunge ausgerissen worden, er starb am Blutverlust, doch der andere konnte sprechen und war noch bei Bewusstsein. Früher musste er kräftig und gewandt gewesen sein, seine Muskeln traten hervor wie Stränge. Shigeru sah in seinen Augen das gleiche Zeichen von Intelligenz und Willensstärke wie bei dem Mann, der sie hergeführt hatte. Er wollte unbedingt, dass dieser Mann am Leben blieb, damit die Tapferkeit des anderen nicht vergeblich gewesen war. Die drei anderen waren dem Tod so nah, dass es am gütigsten erschien, ihnen Wasser zu geben und ihr Leiden zu beenden. Kiyoshige tat es mit seinem Messer, während der Mann, der bei Bewusstsein war, die Hände faltete, niederkniete und ein Gebet sprach, das Shigeru noch nie gehört hatte.
»Es sind Verborgene«, sagte Irie hinter ihm. »Das ist das Gebet, das sie im Augenblick des Todes sprechen.«
Als die Toten noch bei Tageslicht beerdigt worden waren, ging Shigeru mit Irie auf den Gipfel des Hügels, wo die Köpfe der Tohan vor dem Eingang zum Schrein niedergelegt worden waren. Der Platz war verlassen, doch es gab immer noch Zeichen vom Lager des Feindes: Lebensmittelvorräte, Reis und Gemüse, Kochgeschirr, Waffen, Seile und andere, unheimlichere Werkzeuge. Shigeru schaute ausdruckslos auf die Toten, während Irie die Namen derer nannte, die er nach ihren Gesichtszügen erkannte oder nach den Wappen, die von Kleidung und Rüstung genommen worden waren.
Zwei waren zu Shigerus Ãberraschung Krieger von hohem Rang: Maeda war durch Heirat eng mit den Iida verwandt, der andere hieà Honda. Er fragte sich, warum solche Männer ihren Ruf und ihre Ehre durch Folterungen besudelten. Hatten sie auf Iida Sadayoshis Befehl gehandelt? Und wer waren die Verborgenen, dass sie solche Gemeinheit und Grausamkeit weckten? Bedrückt stieg er die Stufen hinab. Er wollte nicht bei dem Schrein schlafen, den Folter und Tod befleckt hatten, deshalb schickte er Harada mit einigen anderen auf die Suche nach einem geeigneteren Obdach. Der Ãberlebende der Gräuel wurde im Schatten eines Kampferbaums am Damm versorgt. Shigeru ging zu ihm. Glühwürmchen funkelten schon im blauen Dämmerlicht.
Kopf und Gesicht waren gewaschen und die Verbrennungen mit Salbe behandelt worden. Aus den Schnitten im Schädel sickerte dunkles Blut, doch sie sahen sauber aus. Er war bei Bewusstsein und starrte hinauf in dendunklen Baum, dessen Blätter leise in der Abendbrise raschelten.
Shigeru kniete sich neben ihn und sagte leise: »Ich hoffe, dein Schmerz ist gelindert worden.«
Der Mann drehte den Kopf zu der Stimme. »Lord Otori.«
»Es tut mir leid, dass wir die anderen nicht retten konnten.«
»Dann sind sie alle tot?«
»Sie müssen nicht mehr leiden.«
Der Mann schwieg einen Moment lang. Seine Augen glänzten und röteten sich. Es war nicht zu erkennen, ob er weinte oder nicht. Er flüsterte etwas, das Shigeru nicht richtig verstand, etwas über den Himmel. Dann sagte er deutlicher: »Wir werden uns alle wiedersehen.«
»Wie heiÃt du?«, fragte Shigeru. »Hast du noch andere Angehörige?«
»Nesutoro.« Der Name klang fremdartig, Shigeru konnte sich nicht daran erinnern, ihn je gehört zu haben.
»Und der Mann, der zu uns gekommen ist?«
»Tomasu. Ist er auch schon
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