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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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Wasser.
    Am Rand des Teichs fiel er nieder, steckte den Kopf ins Wasser und stöhnte, als dessen Kälte in die offenen Wunden schlug. Er versuchte offensichtlich zu trinken, saugte am Wasser, würgte und erbrach es wieder.
    Kleine blasse Fische wurden vom Blutgeruch angelockt.
    Â»Bringt ihn zu mir«, sagte Shigeru. »Aber seid vorsichtig, erschreckt ihn nicht.«
    Die Männer gingen ans Teichufer. Einer legte dem Flüchtling die Hand auf die Schulter, zog ihn hoch und sagte dabei langsam und deutlich: »Fürchte dich nicht. Wir werden dir nichts tun.« Der andere nahm ein Tuch aus seinem Beutel und wischte das Blut ab.
    Shigeru erkannte an der Haltung des Mannes, dass er sich sehr wohl fürchtete, doch als das Blut weggewischt war und er das Gesicht deutlicher sehen konnte, entdeckte er hinter Schmerz und Angst Intelligenz in seinen Augen. Die Männer hoben den Verletzten auf, brachten ihn zu Shigeru und setzten ihn auf den sandigen Boden.
    Die Ohren waren dem Mann abgeschnitten worden und Blut drang aus den Löchern.
    Â»Wer hat dir das angetan?« Shigeru schauderte vor Empörung.
    Der Mann öffnete den Mund, stöhnte und spuckte Blut. Die Zunge war ihm herausgerissen worden. Doch mit einer Hand glättete er den Sand und mit der anderen skizzierte er die Schriftzeichen Tohan . Er strich wieder über den Sand und schrieb unbeholfen und fehlerhaft:
    Kommt. Helft.
    Shigeru hielt den Mann für lebensgefährlich verletzt und es widerstrebte ihm, ihn noch mehr leiden zu lassen, indem er ihn transportierte. Doch der Verstümmelte machte selbst eine Geste zu den Pferden und deutete an, er werde sie führen. Tränen schossen ihm aus den Augen, als er zu sprechen versuchte und anscheinend erst jetzt erkannte, dass er für immer zum Schweigen gebracht worden war – doch weder Schmerz noch Leid lenkten ihn von seiner Bitte ab. Alle Umstehenden empfanden so etwas wie Ehrfurcht vor diesem Mut, dieser Ausdauer, und konnten nicht ablehnen.
    Es war schwierig herauszufinden, wie man ihn transportieren sollte, er verlor rasch seine restliche Kraft. Am Ende nahm einer der stärksten Gefolgsleute, Harada, ein breit gebauter, untersetzter Mann, ihn auf den Rücken wie ein Kind und die anderen banden ihn fest. Beiden wurde auf eines der ruhigeren Pferde geholfen, und indem der Leidende seinen Träger an der linken oder rechten Brustseite berührte, führte er sie über die Ebene.
    Zuerst ritten sie im Schritt, um ihm zusätzliche Schmerzen zu ersparen, doch er stöhnte verzweifelt und schlug Harada mit den Händen an die Brust, deshalbdrängten sie die Pferde zum Kantern. Es war, als spürten die Fohlen den neuen Ernst ihrer Reiter, sie liefen sanft und ruhig, so vorsichtig wie Stuten mit kleinen Füllen.
    Ein Bach floss aus der Quelle und sie folgten kurze Zeit seinem Lauf in einer leichten Vertiefung zwischen den abgerundeten Hängen. Die Sonne im Westen sank tiefer und die Schatten der Männer ritten lang und schwarz vor ihnen. Der Bach wurde breiter und floss langsamer, und plötzlich waren sie in bebautem Land. Kleine Felder waren aus dem Kalkstein geschnitten, eingedeicht und mit Flussschlamm gefüllt worden, junge Sämlinge leuchteten grün darauf. Die Pferde platschten durch das flache Wasser, doch niemand kam und schimpfte über den Schaden an den Pflanzen. Rauch lag in der Luft und es roch nach verkohltem Fleisch, Haar und Knochen. Die Pferde warfen die Köpfe zurück, rissen die Augen auf und blähten die Nüstern.
    Shigeru zog sein Schwert und alle folgten ihm, die Stahlklingen seufzten gleichzeitig, als sie aus den Scheiden gerissen wurden. Harada wendete das Pferd als Reaktion auf die Handzeichen seines Führers und ritt links am Deich entlang.
    Die Felder lagen am Rand eines kleinen Dorfs. Hühner scharrten an den Dämmen und ein streunender Hund bellte die Pferde an, doch sonst war nichts von den üblichen Geräuschen des Dorflebens zu hören. Das Platschen der Pferde klang erstaunlich laut, und als Kiyoshiges Grauer wieherte und Shigerus Rappe antwortete, hallte das Echo wie Kinderweinen.
    Am anderen Ende des Deichs hob sich abrupt ein kleiner Hügel, kaum mehr als aufgetürmte Erde, aus denüberfluteten Feldern. Seine untere Hälfte war hinter Bäumen verdeckt, sodass er aussah wie ein struppiges Tier, und gezackte graue Steine krönten ihn. Ihr Führer gab ein Zeichen zum Halten und

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