Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
geräuschlos verschwanden sie in der Finsternis. Die Ãbrigen wendeten die Pferde und trieben sie zum Galopp an. Die reiterlosen Pferde rannten ihnen nach und lieÃen einen Mann hilflos hinterherwanken.
»Fangt ihn, tötet ihn aber nicht«, befahl Shigeru.
Der Mann fiel auf die Knie, als die Reiter ihn einkreisten. Er trug eine geschnitzte Vogelstange mit zwei Falken, die an ihren Beinen festgebunden waren, und versuchte die Stange aufrecht zu halten, während er gleichzeitig nach seinem Schwert griff. Die Vögel kreischten, flatterten wild mit den Flügeln und hieben mit ihren scharfen, gebogenen Schnäbeln um sich. Shigerus Männer entwaffneten den Mann, bevor er sich töten konnte, und brachten ihn zu Shigeru.
EinigermaÃen grob wurde er auf den Boden geworfen und drückte verzweifelt das Gesicht ins staubige Gras.
»Setz dich auf«, sagte Shigeru. »Was ist passiert?« Als der Mann nicht antwortete, fuhr er fort: »Du brauchst keine Angst zu haben.«
Da hob der Mann den Kopf. »Angst? Glauben Sie, ich hätte Angst vor irgendeinem Otori? Ich bitte nur, mir zu erlauben, dass ich mir das Leben nehme oder ihr mich tötet. Mein Leben ist vorbei. Ich habe meinen Herrn in die Grube fallen lassen.«
»Deinen Herrn? Wer ist das dort unten?«
Das Gesicht des Mannes war weià vor Entsetzen. Er zitterte. »Ich diene Iida Sadamu, dem Sohn von Lord Iida Sadayoshi, dem Erben der Tohan.«
»Iida Sadamu ist ins Lager des Ungeheuers gefallen?«, sagte Komori ungläubig.
»Was habt ihr hier gemacht?«, wollte Shigeru wissen. »Ihr habt mit bewaffneten Männern die Grenze überschritten! Wolltet ihr die Otori zu einem Krieg provozieren?«
»Nein, wir gingen auf die Falkenjagd: Vor zwei Tagen sind wir in Inuyama aufgebrochen. Iida Sadamu hat uns angeführt, er galoppierte voraus und folgte dem Vogel.«
Er deutete in die Höhe und sie sahen den kleinen dunklen Falken hoch am Himmel kreisen. »Er ist mit seinem Pferd hineingestürzt.«
»Falkenjagd!« Shigeru fand, es könnte eine gute Ausrede für Sadamu gewesen sein, um ins Grenzland zu reiten und selbst zu sehen, was die Otori vorhatten. Eine ebenso gute Ausrede wie das Ausprobieren junger Pferde. Er staunte über die seltsamen Wege des Schicksals, die sie in dieser Weise zusammengebracht hatten. Der Erbe der Tohan lag tot oder sterbend unter seinen FüÃen ⦠Die Männer grinsten nervös, als empfänden sie ebenso Scheu und Schrecken.
Das Geschrei der Vögel verstummte plötzlich und in der Stille hörten sie eine Stimme aus der Tiefe drunten.
»Könnt ihr mich hören? Holt mich hier raus!«
»Er lebt! Das ist Lord Iida. Lasst mich gehen, ich muss zu ihm.« Der Mann wehrte sich gegen die Hände, die ihn hielten. Shigeru gab Komori ein Zeichen und sie gingen zur Seite, sodass sie unbelauscht reden konnten.
»Könnte er überlebt haben?«
»Manchen gelingt das. Es ist nicht der Sturz, der sie tötet â meistens verhungern sie.«
»Kann man ihn retten?«
»Wir lassen ihn besser unten. Werfen auch diesen Mann hinunter und tun, als wüssten wir von nichts. Ohne Sadamu wird Sadayoshi weich werden.« Komoris Augen glänzten vor Erregung.
»Die Männer, die weggeritten sind, haben uns gesehen. Sie werden weitere Lügen erfinden über das, was wirklich geschehen ist, und die Otori für Sadamus Tod verantwortlich machen. Das würde den Tohan den Vorwand für einen Krieg liefern. Aber wenn wir Sadamu retten und ihn zu seinem Clan zurückschicken, wird uns das viele Vorteile bringen.«
Zum Beispiel die Rückkehr der Kitanojungen, dachte Shigeru.
»Wenn es Lord Otoris Wille ist«, sagte Komori enttäuscht.
»Kannst du ihn heraufholen?«
» Ich kann zu ihm . Ob er mir hinausfolgen kann â das ist eine andere Frage.«
»Würdest du durch diese Ãffnung hinuntersteigen?«
»Nein, das ist zu tief, und überhaupt gibt es hiernichts, woran man ein Seil festmachen kann. Aber Sadamu hat Glück â es gibt einen Gang, der diese Höhle mit einer anderen, weniger tiefen verbindet, mit Bäumen rundum. Der Gang ist allerdings sehr eng.«
Komori rief dem Tohanmann zu: »Wie dick ist Lord Sadamu?«
»Ãberhaupt nicht dick!«
»Aber er ist ein kräftiger Mann, stimmtâs?«
Als der andere zustimmte, murmelte Komori:
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