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Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels

Titel: Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lian Hearn
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ihrer Kleider, als sie sich bis zum Boden verneigte und leise sagte: »Lord Otori.«
    Er setzte sich mit gekreuzten Beinen vor sie.
    Akane richtete sich auf und sagte: »Ich bin gekommen, um Lord Otori für seine Güte gegenüber mir und meiner Mutter zu danken. Sie haben meinen Vater im Tod geehrt. Wir sind für immer in Ihrer Schuld.«
    Â»Ich bedaure den Tod deines Vaters. Die Brücke ist eines der Schmuckstücke des Mittleren Landes, ihre Konstruktion vermehrt den Ruhm des Clans. Der Tod deines Vaters hat das noch gesteigert. Ich fand, dessen sollte man gedenken.«
    Â»Meine Angehörigen haben Geschenke geschickt – nichts von Bedeutung, nur Speisen und Wein. Ich bitte um eine zu große Ehre, aber dürfte ich sie Ihnen jetzt trotzdem servieren?«
    Sein einziger Instinkt war, sie zu berühren, sie zu umarmen, doch zugleich wollte er sie höflich behandeln und ihren Kummer respektieren; er wollte die Frau kennenlernen, die aufgeschrien hatte, als ihr Vater eingemauert worden war, nicht nur die Kurtisane, die sich ihm hingeben würde, weil er ein Verlangen nach ihr ausgedrückt hatte.
    Â»Ja, wenn du das Mahl mit mir teilst«, antwortete er. Sein Herz hämmerte.
    Sie verneigte sich wieder und bewegte sich auf Knien zur Tür, wo sie den Dienerinnen leise etwas zurief. Ihre Stimme war sanft, doch sie sprach voller Autorität. Wenige Augenblicke später hörte er das leise Tappen einer Dienerin, die Socken an den Füßen trug, und die Frauen wechselten ein paar Worte. Dann kam Akane zurück mit einem Tablett, auf dem sie Essen und Wein, Schalen und flache Teller brachte.
    Sie reichte ihm eine der Schalen, die er in beiden Händen hielt, während sie Wein hineingoss. Er trank ihn in einem Schluck, sie füllte die Schale erneut, und dann, als er zum zweiten Mal getrunken hatte, streckte sie ihm die eigene Schale entgegen, damit er ihr Wein eingießen konnte.
    Die Speisen waren gewählt und zubereitet, um die Sensibilität von Mund und Zunge zu verstärken: das orangefarbene, auf der Zunge zergehende Fleisch des Seeigels, schlüpfrige Austern und Muscheln, eine köstliche Brühe, mit Ingwer und Minze gewürzt. Danach Obst, kühl und saftig: Mispeln und Pfirsiche. Sie tranken beide wenig, gerade genug, um ihre Sinne anzuheizen. Als sie mit dem Mahl fertig waren, hatte Shigeru das Gefühl, in einen verzauberten Palast versetzt zu sein, wo eine Prinzessin ihn völlig verhext hatte.
    Akane beobachtete sein Gesicht und dachte, er war noch nie verliebt. Zum ersten Mal wird er sich in mich verlieben.
    Auch ihr Körper schmerzte schon vor Begierde.
    Er hatte nicht gewusst, dass es so sein würde: der wachsende Drang, sich im Körper dieser Frau zu verlieren, die völlige Hingabe an ihre Haut, ihren Mund, ihreFinger. Die körperliche Entspannung hatte er erwartet – wie in Träumen oder durch die eigene Hand –, unter eigener Kontrolle, schnell, angenehm, aber nicht überwältigend oder verzehrend. Er wusste, dass sie ein Freudenmädchen war, eine Kurtisane, die ihr Gewerbe bei vielen Männern gelernt hatte; aber er war nicht darauf vorbereitet, dass sie seinen Körper anzubeten schien und davon offenbar ebenso entzückt war wie er von ihrem. Intimität hatte er nie gekannt, seit seinen kindlichen Gesprächen mit Chiyo hatte er kaum mit einer Frau gesprochen. Es war, als ob die Hälfte seiner selbst, die fast sein Leben lang im Dunkeln geschlafen hatte, plötzlich wachgestreichelt worden wäre.
    Â»Ich habe den ganzen Sommer auf dich gewartet«, sagte sie.
    Â»Ich habe an dich gedacht, seit ich dich auf der Brücke sah«, antwortete er. »Es tut mir leid, dass du so lange warten musstest.«
    Â»Manchmal ist es gut zu warten. Niemand schätzt, was leicht zu haben ist. Ich sah dich fortreiten. Die Leute sagten, du wolltest den Tohan eine Lektion erteilen! Ich wusste, du würdest mich kommen lassen. Aber die Tage schienen endlos zu sein.« Sie hielt einen Augenblick inne, dann sagte sie sehr leise: »Wir sind uns einmal zuvor begegnet; du wirst dich nicht daran erinnern. Es war vor so langer Zeit. Ich war es, die dir half, als dein Bruder fast ertrank.«
    Â»Du wirst nicht glauben, wie oft ich von dir geträumt habe«, sagte er und staunte über die Wege des Schicksals.
    Er wollte ihr alles erzählen: vom Leiden der Verborgenen, den sterbenden Kindern, der

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