Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
Sie spürte die vertraute Glätte seiner Haut, sein Geruch war um sie. Er bedeckte sie mit seinem ganzen Gewicht, wie damals, als sie sich zum ersten Mal geliebt hatten und er sie so zart behandelte, oder am Tag, an dem ihr Vater starb und sie ihn so sehr brauchte.
»Akane«, flüsterte er. »Ich liebe dich.«
»Ich weië, sagte sie und Tränen schossen ihr in die Augen. »Aber du bist tot und jetzt gibt es nichts, was ich tun kann.«
Sein Gewicht auf ihr veränderte sich, es war nicht mehr die tröstliche Festigkeit des lebendigen Liebhabers, sondern das tote Gewicht des Leichnams. Es lastete auf ihr, drückte ihr die Luft aus den Lungen und zwang ihr Herz dazu, hektisch zu pumpen. Sie hörte ihren eigenen, keuchenden Atem und spürte, wie ihre Glieder sinnlos um sich schlugen.
Plötzlich war sie wach, allein im Zimmer, schweiÃnass, keuchend. Sie wusste, dass sie sich von seinem Geist nie befreien könnte â er war gekommen, um sie zu besitzen â, wenn sie nicht eine Art Wiedergutmachung versuchte.
Jetzt wurde sie von fieberhafter Angst gepackt, es könnte zu spät sein. Trotz Harunas Versicherungen vertraute sie nicht darauf, dass sie mit Lord Masahiro sprechen dürfte. Sie rief nach den Dienerinnen, nahm ein Bad und machte Toilette, während sie darüber nachdachte, wie sie sich ihm am besten näherte. Ihre Ungeduld, das schnelle Verstreichen der Zeit sagten ihr, dass es am besten wäre, ihm direkt zu schreiben. Es war das Kühnste, was ihr einfiel. Wenn es misslang, konnte sie nichts mehr tun. Sie lieà sich Tinte und Papier bringen und schrieb schnell â ihr Vater, der so leicht in den Stein schrieb wie die meisten Gelehrten auf Papier, hatte es ihr beigebracht, und ihre Schrift war ausdrucksstark und flüssig, ein Spiegelbild ihres Charakters. Sie gebrauchte die höflichen Formeln, aber nichts Hochtrabendes oder Blumiges, und fragte einfach, ob Lord Masahiro ihr erlauben würde, dass sie zu ihm kam und mit ihm redete.
Er wird es nie erlauben , dachte sie, als sie die Nachricht einem der Wachtposten gab. Ich werde nichts von ihm hören und morgen um diese Zeit werden Hayatos Kinder tot sein.
Sie war in ihre schönsten Gewänder gekleidet und konnte nichts tun als warten. Die Nacht war gekommen und brachte ein wenig Erleichterung nach der Hitze. Akane aà eine Schüssel voll kalter Nudeln mit frischem Gemüse und trank eine Schale Wein. Sie fürchtete sich vor dem Schlaf, fürchtete Hayatos Geist. In der Ferne donnerte es, doch es regnete nicht. Die Läden waren offen und der Duft der Gartenblumen, vermischt mit dem Geruch des Meeres und der Kiefernnadeln, zog in den Raum. Im Osten stieg der Mond hinter hoch aufgetürmten Wolken auf und beleuchtete ihre wilden Formen, als wären sie Puppen in einem Schattenspiel.
Ein heftiger Blitz hatte gerade den südlichen Himmel erhellt, da hörte sie Schritte und leise Stimmen drauÃen. Sekunden später kam eine Dienerin herein und flüsterte: »Lady Akane, jemand vom Schloss ist gekommen.« Es klang aufgeregt.
»Ein Bote?« Akane stand zitternd auf.
»Vielleicht ⦠oder vielleicht auch nicht â¦Â« Die Dienerin lachte und verzog leicht das Gesicht. Sie wagte kaum, seinen Namen auszusprechen. »Sie wissen schon, der Onkel â¦Â«
»Das kann nicht sein!« Akane hätte sie am liebsten geohrfeigt wegen ihrer Dummheit. »Was hat er gesagt?«
»Er hat darum gebeten, Sie zu sehen.«
»Wo ist er jetzt?«
»Ich habe ihm gesagt, er soll in der Eingangshalle warten â aber, Lady Akane, wenn er es wirklich ist, dann habe ich ihn sehr beleidigt! Was soll ich nur machen?«
»Du hättest ihn lieber gleich hereinführen sollen«,sagte Akane. »Und bringe noch Wein. Lass ihn allein hereinkommen. Wenn er Leute mitgebracht hat, dann sollen sie drauÃen warten. Du musst auch drauÃen bleiben, aber komm sofort, wenn ich dich rufe.«
Sobald der Besucher hereingekommen war, wusste Akane trotz seiner lässigen Kleidung ohne Wappen, dass es Masahiro war. Er war ein kleiner Mann, viel kleiner als Shigeru, und er zeigte bereits die Korpulenz mittlerer Jahre. Ihr erster Gedanke war, er glaubt, er kann mit mir schlafen, und Entsetzen überkam sie, denn wenn das geschah, würde Shigeru ihr nie verzeihen.
Sie verneigte sich tief vor ihm, dann setzte sie sich und versuchte, sich mit
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