Der Clan der Otori – Die Weite des Himmels
älteren Bruders beklagen.«
»Was andere Leute darüber sagen, sollte unwichtig sein, solange das Verhalten in meinen Augen richtig ist.«
»Aber dein Ruf ist von Bedeutung«, sagte Takeshi. »Wenn die Leute dich bewundern und lieben, machen sie bereitwilliger, was du willst. Je beliebter du bist, umso sicherer bist du.«
»Wovon redest du?« Shigeru lächelte.
»Lach mich nicht aus â du solltest wachsam sein. Ich höre allerhand, weiÃt du. Ich halte die Ohren offen, und auÃerdem erzählen mir Kiyoshige und Kahei vieles. Du gehst nicht dorthin, wo Kiyoshige mich hinbringt.«
»Du solltest auch nicht dorthin gehen!«, unterbrach Shigeru ihn.
»Es dauert nie lange, dann achten die Leute gar nicht mehr auf mich, vor allem, wenn sie trinken. Ich tue, als wäre ich noch ein Kind â¦Â«
»Du bist noch ein Kind!«
»Nicht wirklich«, gab Takeshi zurück. »Aber es macht mir nichts aus, mich so zu verhalten. Oft stelle ich mich schlafend und lege mich auf den Boden, während sie über meinem Kopf die Zungen lockern.«
»Und was haben diese losen Zungen zu sagen?«
»Ich bin nicht treulos, ich wiederhole nur, was gesagt wird, weil ich finde, du solltest es wissen.«
»Das verstehe ich.«
»Sie fürchten unseres Vaters Unentschlossenheit angesichts der Angriffslust der Tohan. Sie sind besorgt wegen der Rolle, die unsere Onkel bei den Clanentscheidungen spielen. Sie glauben, dass der Osten lieber den Tohan überlassen wird, als dass man ihn verteidigt.«
»Nicht, solange ich lebe«, sagte Shigeru. »Wir werden den Herbst und Winter mit Kriegsvorbereitungen verbringen; ich beabsichtige, Männer zu sammeln und auszubilden.«
Takeshis Augen glänzten vor Erregung. »Fang nur keinen Krieg an, bevor ich alt genug zum Kämpfen bin.«
Shigeru hatte bereits viele Menschen sterben sehen. Er würde nie den Augenblick vergessen, in dem das Leben aus dem Körper des ersten Mannes wich, den er getötet hatte â Miura. Er fürchtete nicht den eigenen Tod, obwohl er immer noch vorhatte, ihn bedeutsam zu machen, doch der Gedanke an Takeshis Tod war unerträglich. Ein weiterer Grund, die Auseinandersetzung mit den Tohan nicht zu verzögern. Aber wenn es im nächsten Jahr ist, und das ist wahrscheinlich, dachte Shigeru, dann ist er mit vierzehn nicht zu jung, um mitzumachen. Wie kann ich ihn aus der Schlacht heraushalten?
»Gibt es noch etwas, das du mir erzählen kannst?«, fragte er.
»Maruyama Naomis Ehemann begünstigt eine Allianz mit den Tohan. Das bringt Unruhe unter die anderen Seishuufamilien â besonders die Arai. Die Leute sagen, wir sollten uns mit den Seishuu verbünden, bevor sie Iida Sadamu unterstützen und wir zwischen ihnen gefangen und zerrieben werden.«
Shigeru saà eine Zeit lang schweigend da und erinnerte sich an seine früheren Gedanken über eine Allianz mit den Seishuu durch Heirat. »Ich bin noch nie im Westen gewesen«, sagte er schlieÃlich. »Ich würde gerndorthin reisen, mich würde zum Beispiel interessieren, wie sie in Maruyama ihre Angelegenheiten regeln.«
»Nimm mich mit«, bat Takeshi. »Es dauert noch lange genug, bevor der Schnee kommt â und der Herbst ist eine gute Zeit zum Reisen. Und lass uns auch nach Kumamoto gehen. Ich möchte Arai Daiichi kennenlernen â es heiÃt, er sei ein mächtiger Krieger.«
»Der älteste Sohn?«
»Ja â er ist noch jung, aber er soll der beste Schwertkämpfer in den Drei Ländern sein! Doch wahrscheinlich ist er nicht so gut wie mein älterer Bruder«, fügte Takeshi loyal hinzu.
»Ich nehme an, dass du ein besserer Schwertkämpfer sein wirst als ich«, sagte Shigeru. »Vor allem, wenn du zu Matsuda Shingen nach Terayama gehst.«
»Ich würde gern von Matsuda unterwiesen werden â aber ich weià nicht, ob ich diese vielen Monate im Tempel aushalten kann.«
»Du würdest viel lernen. Vielleicht solltest du den Winter dort verbringen. Wir werden Matsuda unterwegs aufsuchen.«
»Auf dem Rückweg«, bat Takeshi.
»Du solltest mindestens ein Jahr dortbleiben«, sagte Shigeru und dachte: Dort wird er weit weg vom Schlachtfeld sein.
Takeshi stöhnte. »Zu viel Lernerei.«
»Das körperliche Training ist sinnlos, wenn du nicht zugleich den Geist trainierst. Und auÃerdem
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