Der Clan der Wildkatzen
sagte Miao. » Katar hat uns schon durch viele Monsunregen und Sommer geführt und wir haben Krieger wie Beraal und Hulo. Außerdem haben wir anscheinend einen Sender auf unserer Seite, auch wenn das Kätzchen noch sehr jung ist.«
» So jung wie ich?«, fragte Southpaw neugierig. Es gab keine anderen Kätzchen seines Alters in Nizamuddin, und manchmal wünschte er sich, er hätte Geschwister aus dem gleichen Wurf.
» Ja«, sagte Miao. » Beraal sagt, sie ist sehr klein, also vielleicht ist sie sogar noch jünger als du. Stell dir vor, du bist größer als der Sender!«
» Ich dachte, ein Sender müsse groß sein«, sagte Southpaw enttäuscht. » Ich dachte, sie wäre größer als Datura, so groß wie ein Tiger!« Er schauderte und erinnerte sich an den Tag, als er aufgewacht war und Ozzys riesige Reißzähne und das große schwarzgoldene Gesicht gesehen hatte.
Miao schüttelte Schnurrhaare und Augenbrauen in stillem Lachen. » Nein, sie ist noch ein Kätzchen«, sagte sie. » Aber alle Sender verfügen über erstaunliche Kräfte. Tigris zum Beispiel konnte mit den Milanen sprechen und mit ihnen mitfliegen.«
Und während sie seine Schnurrhaare putzte und sein Fell glattstrich, erzählte sie ihm Geschichten, bis er getröstet war. Schließlich gelang es der alten Siamkatze, Southpaw in einen tiefen Heilschlaf zu versetzen. Er räkelte sich und murmelte vor sich hin, während seine Pfoten in ihre Flanken tapsten, aber er schlug die Augen nicht mehr auf. Miao spürte, wie sich nach einer Weile die Anspannung aus seinem Körper löste. Bald würde er von schöneren Dingen träumen, hoffte sie.
Miao blieb den größten Teil der Nacht wach und beobachtete die Waldkäuze, die über ihr dahinflogen, und lauschte dem Chor der Fledermäuse, die in der Nähe des Stufenbrunnen wohnten. Sie erstarrte, als ein Mungo hinter einem Buschwerk aus Nachtjasmin hervorschoss, aber er hatte kaum einen Blick für sie und Southpaw übrig. Sein schlanker brauner Kopf zeigte in die andere Richtung, und Miao fragte sich, ob er Kobras jagte, oder vielleicht eine harmlose Rattennatter oder Eidechsen. Sie blinzelte, um einen summenden Moskito zu verscheuchen, und als sie die Augen wieder öffnete, war der Räuber bereits im Dickicht verschwunden.
Southpaw drückte eine Pfote in ihren Bauch und kuschelte sich an die cremefarbene Katze wie ein ganz kleines Kätzchen. Miao leckte ihm den Scheitel ab, bis er im Traum schnurrte. Sie genoss den Frieden, der vor der Dämmerung in Nizamuddin herrschte, die stillen Stunden, ehe die Großfüße aufstanden. Und sie hoffte, dass Datura und sein Rudel niemals das Verrammelte Haus verlassen würden.
8
Southpaw schließt Freundschaft
H ey!«, sagte Southpaw. » Du kneifst mich! Miao ist viel zärtlicher.«
» Du bist ein undankbares Balg«, sagte Hulo, der mit seiner rauen Zunge trockenes Laub und die Reste eines Termitennestes aus Southpaws Wunden leckte, die recht gut verheilten. » Halt still und sei ein gutes Kätzchen.«
» Aua! Hulo, das ist mein Auge!«
» Zuck nicht so herum«, erwiderte der Kater. » Wenn Miao oder Katar hören, dass du im Baum herumgeklettert bist, obwohl deine Wunden noch nicht verheilt sind, und dann auch noch im Kobrabaum, in dem du gar nicht herumklettern darfst…«
» …weil Schlangen auf den Ästen sein sollen, ich weiß. Aber da sind gar keine, Hulo«, sagte Southpaw und bemühte sich, die Zunge des Katers zu ignorieren. » Ich war ganz vorsichtig und habe nur ein paar Mainas und diese Drosslinge gesehen, die wie immer ein Heidentheater veranstaltet haben. Sie machen solchen Lärm, wie könnten da Schlangen leben? Sie würden dadurch doch verscheucht werden, oder nicht?«
» Nur mal angenommen, da wären Schlangen gewesen«, erwiderte Hulo ernst.
» Dann hätte ich einen ganz schönen Schreck bekommen! Aber da waren keine. Nur Vögel. Und wie hätte ich herausfinden sollen, ob es dort Schlangen gibt oder nicht, wenn ich nicht nachgeschaut hätte? Niemand schien es sicher zu wissen.«
Hulo hörte auf, Southpaw zu putzen, und dachte nicht zum ersten Mal, dass er Miao und Katar nicht beneidete. Southpaw war nicht das erste Waisenkätzchen, das man in Nizamuddin gefunden hatte, aber er war schwieriger als mancher Einjährige. Hulo wollte sich eigentlich nicht an Southpaws Erziehung beteiligen, aber trotzdem hatte er ständig die Schnurrhaare auf Empfang gestellt, um Neuigkeiten von dem kleinen Kater zu erfahren – und die gab es ja tatsächlich in erschreckend
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