Der Clan der Wildkatzen
Einstiche am Hals ausgesaugt, bis dort keine Reste von Schmutz oder Daturas Speichel zu entdecken waren. Southpaw lag währenddessen zwischen den beiden Katzen, schaute hinauf zu den Sternen am Nachthimmel und erinnerte sich an die düstere und staubige Decke des Verrammelten Hauses, an der unzählige Spinnweben gehangen hatten.
Die Katzen ruhten sich aus und dösten benommen in der kühlen Nacht. Katar verschwand kurz und kehrte mit frischer Beute zurück, einem großen Nasenbeutler, der für sie alle drei reichte. Sie aßen gut und die beiden älteren Katzen überließen Southpaw die besten und schmackhaftesten Bissen.
Satt, warm und in Sicherheit lag Southpaw an Miaos bequemer Flanke und war zu müde, um sich an den nächtlichen Aktivitäten von Katar und den anderen zu beteiligen, obwohl für diese Nacht ein erstklassiger Streifzug geplant war.
Er schlief aber nur kurz. Der Mond stand noch hoch am Nachthimmel, als er erwachte. Es war ein trüber Mond, der in einem fleckigen Orange und Gelb leuchtete, und er brachte dem kleinen Kater schlechte Träume, sodass Southpaw im Schlaf mit den Pfoten strampelte und ein- oder zweimal sogar jaulte. Miao putzte ihm sanft den Kopf und die Ohren, denn sie wusste, die Albträume würden noch eine Weile andauern.
» Miao«, sagte Southpaw, als er richtig wach geworden war, » wird das Verrammelte Haus jemals geöffnet?«
Die Siamkatze sah hinüber zu dem unheimlichen Haus, das die Unbezähmbaren ihr Zuhause nannten. » Du solltest deswegen keine schlechten Träume bekommen.«
» Aber wird es geöffnet?«, beharrte Southpaw. » Datura hat gesagt, der alte Großfuß würde bald nicht mehr da sein, und dann würden sie herauskommen. Aber bisher sind sie noch nie herausgekommen. Warum dann jetzt? Warum bleiben sie nicht einfach dort?«
Miao kuschelte sich näher an den kleinen Kater und entschied, dass er, nach dem, was er heute erlebt hatte, ruhig die Wahrheit wissen durfte, auch wenn sie hart war.
» Du hattest die Unbezähmbaren bislang nicht kennengelernt, oder, Southpaw? Sie unterscheiden sich von uns Wilden Katzen. Bei uns gibt es Prügeleien und Reviere, aber meist leben wir friedlich zusammen. Die Unbezähmbaren aber sind eigenartige Geschöpfe. Kannst du dir vorstellen, wie es ist, wenn man im Verrammelten Haus aufwächst, ohne den Lärm der Großfußwelt, ohne den Regen oder den Wind im Fell fühlen zu können, ohne Parks und Gärten, durch die man streifen kann, ohne Bäume zum Klettern und Dächer, die es zu verteidigen gilt?«
Southpaw schaute ins Leere, während er sich an das erinnerte, was ihm im Augenblick höchster Gefahr durch den Kopf gegangen war und ihm den Aufschub verschafft hatte, der ihm ohne Zweifel das Leben gerettet hatte. Dann konzentrierte er sich wieder auf das, was Miao sagte.
» Sie glauben, das Futter kommt nur von den Großfüßen, und alles was sie je gejagt haben, sind alte, lahme Ratten oder kranke Käfer«, erklärte Miao. » Und weil sie nur drinnen leben, die ganze Zeit, gerät bei ihnen irgendwas im Kopf durcheinander. Ihre Gedanken drehen sich im Kreis wie die Raupen, die du unter Baumrinde findest. Sie gehen hierhin und dorthin und kommen nie irgendwo an. Wenn ihr Großfuß stirbt– denn das hat Datura ja gemeint–, werden sie nach einer Weile nichts mehr zu fressen haben. Und vielleicht lässt sie ein anderer Großfuß nicht mehr im Verrammelten Haus wohnen.«
» Was machen sie denn dann?«, fragte Southpaw und zitterte bei dem Gedanken an Datura, Aconite, Ratsbane und den Hass, den ihre Schnurrhaare bei den letzten Drohungen ausgestrahlt hatten.
Miao starrte in den Park, ohne zu sehen, was vor ihnen lag. » Dann brechen sie entweder aus und versuchen uns zu töten, oder sie fallen übereinander her und bringen sich gegenseitig um«, sagte sie. Die Siamkatze verschwieg dem Kleinen jedoch, dass weder der eine noch der andere Ausgang gut für die Katzen von Nizamuddin sein würde. Alles was die Aufmerksamkeit der Großfüße auf die kleine Kolonie der Wilden Katzen lenkte, würde schlecht für sie sein.
Sie spürte, dass Southpaw noch heftiger zitterte, und sie drückte ihm die Schnauze auf das kleine Gesicht. » Spar dir deine Sorgen auf, bis es so weit ist. Außerdem sind wir ja nicht hilflos.«
» Nicht?«, fragte der kleine Kater, der Miao zu gern Glauben schenken wollte, aber sich allzu deutlich an die Angst erinnerte, die die Unbezähmbaren aus dem Verrammelten Haus bei ihm erzeugt hatten.
» Nicht im Geringsten«,
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