Der Clan der Wildkatzen
Stapel abgestellter Körbe und Kartons. Mara wollte nicht, dass ihre Großfüße sie auf den Arm nahmen, auch nicht zum Schmusen, solange sie draußen im Zoo war.
Als Ozzy einen kleinen orangefarbenen Fleck in Gestalt eines Kätzchens über dem künstlichen Teich schweben sah, stellte er die großen weißen Schnurrhaare freudig zur Begrüßung auf. Erst als er sie jetzt sah, fiel ihm auf, wie sehr er Mara vermisst hatte. Die Kleine hatte ihn zum Lachen gebracht und bei ihren Besuchen hatte er immer für kurze Zeit die Gitterstäbe seines Geheges vergessen.
Rani döste am Eingang ihrer Höhle und öffnete die wunderschönen blaugrünen Augen einen Spaltbreit, während sie ihren Gemahl beobachtete. Ozzy war während des Monsunregens stets schlecht gelaunt und man kam nicht leicht mit ihm aus. Der Monsun erinnerte ihn daran, wie der staubige Sommer in der Wildnis besserem Wetter Platz gemacht hatte, und er war seit dem letzten Vollmond ständig rastlos im Käfig hin und her gelaufen und hatte die Wärter und die gaffenden Zuschauer angeknurrt. Als nun Mara über das Wasser heranschwebte, spürte Rani, wie sich die Mähne ihres Gemahls vor Freude aufplusterte, und sie war erleichtert.
» Kätzchen!«, brüllte Ozzy und brachte mit seiner tiefen Stimme die Luft so sehr in Bewegung, dass die Äste im Leopardenkäfig nebenan nur so bebten. » Wo warst du denn die ganze Zeit? Hast du deine alten Freunde vergessen?«
Die kleine Katze freute sich so sehr, Ozzy zu sehen, dass sie ihm beinahe ins gestreifte Maul geflogen wäre. Gerade noch rechtzeitig schaffte sie es, zu bremsen. Sie hätte sich zwar nicht wehgetan, aber Mara wusste, dass andere Tiere es befremdlich fanden, wenn ein Kätzchen, sei es auch nur ein virtuelles, schimmernd durch ihren Körper driftete.
» Ich habe euch vermisst!«, sagte sie und stellte überrascht fest, dass das tatsächlich stimmte.
Dann tat Ozzy etwas für ihn sehr Ungewöhnliches. Er beugte sich vor und strich mit seiner Schnauze über Maras Schnurrhaare. Mara spürte über die Verbindung ein Kribbeln, und eine Sekunde lang surrte die Luft um ihre Ohren, als sie die immense, aber zurückgehaltene Kraft spürte, die durch den Körper des großen Tigers strömte. Ozzy riss die großen goldenen Augen auf, und seine Schnurrhaare zitterten; es schien ihm, dieser Sender war stärker, als er es von einem Kätzchen erwartet hätte, und zum ersten Mal fragte sich der Tiger, wie weit Maras Kräfte wohl reichen mochten.
» Danke, Ozzy«, sagte sie. Noch immer kribbelte ihr Körper von der Berührung. » Hey, Rani, wie geht es dir? Wo ist denn Rudra? Schläft er?«
Ozzys Schnurrhaare gingen nach unten und die Augen des Tigers trübten sich. Er wandte den riesigen Kopf von Mara ab und knurrte tief.
Die weiße Tigerin versuchte, ihre Gefühle zu verbergen, aber Mara hörte dennoch die Traurigkeit in ihrer Stimme. » Rudra und Tawny sind in einen anderen Käfig verlegt worden, auf die andere Seite des Zoos«, erklärte sie. » Sie sind alt genug, um selbst für Nachwuchs zu sorgen. Das ist ja keine schlechte Sache. Wir stellen jeden Tag eine Verbindung her und unterhalten uns. Rudra ist schon ein großer Junge.«
Ozzy knurrte so bedrohlich, dass der Boden bebte. Die wenigen Besucher, die vor dem Gehege auf der anderen Seite des Wassergrabens standen, waren so erschrocken, dass sie zurückwichen.
Seine goldenen Augen funkelten vor Zorn, als er zu Rani und Mara sprach: » Sie haben uns unseren Jungen genommen, Rani! Unseren Jungen! Ohne mich oder dich oder ihn zu fragen!«
» Ozzy«, sagte Rani geduldig. » Zumindest ist er noch hier. Er ist im Zoo, und wir beide wissen, dass er in Sicherheit ist. Sie hätten ihn auch in einen anderen Zoo schicken können, so wie sie es mit den Leopardenbabys gemacht haben. Wenigstens ist er nicht um die halbe Welt verschleppt worden.«
» Sie hatten dazu kein Recht!«, brüllte Ozzy. Sein Gebrüll ließ Mara zittern, doch obwohl das Kätzchen die Ohren anlegte und sich an den Boden drückte, verließ es nicht das Tigergehege und brach auch die Verbindung nicht ab. » Wenn wir in der Wildnis gewesen wären, hätte er uns verlassen, um seine eigene Familie zu gründen, aber glaubst du, wir hätten uns gar nicht mehr getroffen? Wir hätten die dunklen, kühlen Höhlen zusammen erkunden können, Rani! Du hättest seinen Jungen beibringen können, wie sie jagen und wie man die Fährten in den Schluchten und auf den Hochebenen liest, welche Beute es in den Tälern gibt
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