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Der Clan der Wildkatzen

Der Clan der Wildkatzen

Titel: Der Clan der Wildkatzen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbj Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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widersprach nicht. Stattdessen streckte er auf eine fragende, offene und freundliche Weise die Schnurrhaare in ihre Richtung aus. » Dann hast du schon einmal getötet?«
    Mara fiepte sehr leise.
    Ozzy zog die riesigen weißen Schnurrhaare hoch, von denen er jedes viermal um das Kätzchen hätte schlingen können, und sah Mara in die Augen. Die beiden starrten sich ohne zu blinzeln an. Schließlich wandte Ozzy als Erster den Blick ab.
    In der Ferne trompetete ein Elefantenjunges und dem schrillen Tröten folgte das raue Bellen eines Geparden. Die Katzen, die große und die kleine, beachteten weder die Geräusche des Zoos noch die Versuche der Besucher, sie näher ans Geländer zu locken. Manche der Großfüße warfen Plastikmüll ins Gehege. Normalerweise hätte Ozzy sie mit Gebrüll gewarnt, doch diesmal ignorierte er sie.
    » Danke, dass ich meine Erinnerungen mit dir teilen darf, Kleines«, sagte der Tiger. Seine flammenden Flanken hoben und senkten sich, als er sich bewegte, und wieder einmal wurde Mara bewusst, welche Kräfte in diesem riesigen Körper schlummerten. Das Kätzchen hatte sich neben Ozzy zusammengerollt. Rani war in die Höhle zurückgegangen, da sie es für besser hielt, die beiden allein zu lassen.
    Ozzy schwieg noch eine Weile und gab Mara damit Zeit, über den Kosenamen nachdenken, mit dem er sie angesprochen hatte. Der Bund zwischen ihnen war stärker geworden– auf eine Weise, die sich der Tiger nicht erklären konnte. Sie erinnerte ihn an sein erstes Kind, an das temperamentvolle Tigerjunge, das er vor so vielen Jahren verloren hatte– den beiden wohnte der gleiche Geist inne, obwohl sie so unterschiedlichen Arten angehörten.
    » Ich war noch ein Junges, als meine Mutter eines Tages zu unserer Höhle zurückkehrte, mit blutigem Maul und einer hässlichen Wunde am Hinterlauf. Da erzählte sie uns, dass mein Vater tot sei«, sagte Ozzy. Er sprach mit gesenkter Stimme, während er im Geiste wieder durch die Wälder streifte. » Sie hatten gegen zwei Wildschweine gekämpft. Meine Mutter hatte ihren Kampf gewonnen, mein Vater seinen verloren. Meine Schwester verließ uns bald darauf, um das Revier der Wildschweine zu erobern. Ich war zu jung, um meine Mutter zu verlassen, aber schon alt genug, um jagen zu lernen.«
    Der künstliche Teich, das staubige Gras und die Gitterstangen des Käfigs schienen zu verschwinden, als Ozzy sein Leben in den Schluchten und den Wäldern mit Mara teilte, seine Zeit in dem Revier, durch das er nächtelang mit seiner Mutter laufen konnte, ohne auf den Kot eines anderen Tigers oder auf unbekannte Fährten zu stoßen.
    » Der erste Hirsch, den ich jagte, sprach mit mir«, sagte er. Mara richtete sich auf und ihr Schwanz ging interessiert hin und her. Nach dem, was Southpaw und Beraal gesagt hatten, konnten Katzen ihre Beute entweder nicht hören oder sie achteten einfach nicht darauf, was sie von sich gab.
    » Was hat er gesagt?«, fragte sie und stellte aufmerksam die Ohren auf.
    » Er hatte mich als Erster gewittert und flehte wortlos um sein Leben«, sagte Ozzy. » Als ich näher kam und er spürte, wie versessen ich aufs Töten war, während ich mich auf die Lauer legte, teilte er mir mit, welche Freude er empfand, wenn er aus einem Bach trank, der im Sommer nicht ausgetrocknet war, oder wenn er mit seinen Freunden um die Wette lief. Er erzählte mir von dem Nachwuchs, den er sich erhoffte, und von der Gefährtin, mit der er im Dschungel eine Familie gründen wollte.«
    » Also hast du ihn verschont«, sagte Mara und dachte an den Schmetterling. Wenn sie nur nicht so impulsiv gehandelt hätte.
    » Ich habe ihm das Genick mit dem ersten Biss gebrochen«, sagte Ozzy, » und als das heiße Blut herauslief, bereute ich es für einen einzigen Augenblick, ehe ich zu fressen begann.«
    Der Tiger bewegte sich, streckte die riesige Pranke aus und legte sie neben Mara auf den Boden. Die Krallen fuhren heraus, und das Kätzchen sah, wie scharf sie waren: schwere, tödliche Ausgaben ihrer eigenen.
    » Das Töten liegt mir im Blut, steckt in meinen Knochen, Mara«, sagte der Tiger, » genau wie in deinen. Der Hirsch hat mir leidgetan, aber ich habe Gnade gezeigt.«
    » Du hast ihn getötet«, erwiderte Mara. » Was ist das für eine Gnade?«
    Ozzy gähnte, und sie sah seine langen, geschwungenen Zähne. Die Reißzähne waren größer als ihr Kopf.
    » Ich habe ihn schnell getötet«, sagte er. » Das ist keine kleine Gnade, Mara. Du läufst davor weg, ein Sender zu sein,

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