Der Clan der Wildkatzen
Schnurrhaar ausziehen oder böse zu Fremden sein.«
» Nein, du nicht. Aber sie sind erst seltsam geworden, nachdem sie jahrelang eingesperrt waren. Und wenn du unbedingt drinnen leben willst, warum bist du dann überhaupt eine Katze? Wenn du bloß mit dummem Spielzeug toben willst und vorgibst, dir würden die normalen Instinkte fehlen, und du dich weigerst, diese Falle der Großfüße zu verlassen und uns alle kennenzulernen– was für eine Katze bist du dann eigentlich?«
Mara war so wütend, dass sie die Polsterung des Stuhls zerfetzte. » Ich hasse dich, Southpaw, geh weg, ich hasse dich!«
» Hör sofort damit auf! Ich wollte sowieso gerade gehen, du brauchst mich nicht anzubrüllen, du grünäugiger Sonderling!«
» Du bist es, der schreit. Ich wette, man kann dein Miauen noch drei Türen weiter hören! Hau doch ab und jage ein paar arme Mäuse, die nicht darum gebeten haben, umgebracht zu werden, wenn du dich dann besser fühlst! Du bist hier der Sonderling, ein wilder, mörderischer, schrecklicher Sonderling! Und wenn du glaubst, wir alle müssen einen Jagdinstinkt haben, wieso will ich dann niemanden töten?«
In diesem Moment flog ein großer Schmetterling durch das Fenster herein, ein wunderschönes Ziel mit seinen roten Flügeln und dreieckigen Zeichnungen.
Southpaw sah nur eine einzige schnelle Bewegung, und ehe er auch nur eine Pfote heben konnte, war der Schmetterling bereits aus der Luft geschnappt worden und hing Mara zu beiden Seiten aus dem Maul.
Einen Moment lang starrten sich die beiden Kätzchen an. Mara hatte eine wilde Grimasse gezogen, und als sie den Schmetterling fallen ließ und Southpaw sich auf sie zubewegte, gab Mara ein leises, aber deutlich warnendes Miauen von sich.
» Herzlichen Glückwunsch«, sagte Southpaw. » Deine erste erfolgreiche Jagd. Gut gemacht, kleine Mara.«
Mara sah den Falter an. Hektisch tätschelte sie das Insekt und hielt vorsichtig die Krallen zurück, doch er blieb auf dem Boden liegen, und die Flügel hingen schlaff und leblos nach unten.
» Ich wollte ihn nicht töten«, sagte sie. » Wirklich nicht, ich weiß gar nicht, was über mich gekommen ist.«
Southpaw stupste sie liebevoll mit dem Kopf an. » Du hast großartig getötet, Mara. Einfach brillant fürs erste Mal. Dieser Sprung! Dieses Zupacken! Ich wette, er hat nichts gespürt, das war sauberes Töten. Ehrlich.«
Mara ließ den Schwanz sinken und auch die Ohren und Schnurrhaare gingen nach unten. » Aber Southpaw«, flüsterte sie. » Der Falter hat gesagt: ›Bitte nicht!‹ Und ich habe ihn trotzdem getötet.«
Southpaw sah ihr in die Augen und erkannte, dass sie die Wahrheit sagte. Er wusste nicht, wie er reagieren und welche Botschaft er mit den Schnurrhaaren äußern sollte.
» Mara«, sagte er dann. » Es ist doch so: Wir sprechen nicht mit unserer Beute. Oder zumindest hören wir nicht auf unsere Beute. Das macht man einfach nicht. Und wir folgen unseren Instinkten. Wir sind Katzen. Die Jagd liegt uns im Blut und in den Krallen.«
Mara legte den Kopf auf den Boden und miaute traurig. Sie stupste den Schmetterling einmal mit der Schnauze an, als wolle sie ihn wieder zum Leben erwecken. » Ich bin so ein böses Kätzchen! Ich wollte dich nicht töten, Schmetterling, ich bin so traurig, dass ich es getan habe.«
Und das war alles, was Southpaw für den Rest des Abends aus ihr herausbekam. Am Ende beruhigte er sie, indem er sie vom Scheitel bis zur Schwanzspitze putzte, bis sie einschlief. Ihre Schnurrhaare hingen immer noch nach unten. Er blieb so lange, dass er einen Spießrutenlauf durch die Hunde der Nachbarschaft vor sich hatte, als er schließlich ging. Der Dalmatiner und der Labrador kamen gerade vom Abendspaziergang zurück, aber Southpaw schaffte es, ihnen aus dem Weg zu gehen, indem er am Geländer entlanglief und gerade rechtzeitig in den Ästen eines Strauches verschwand.
Auf dem Weg nach Hause dachte er über Mara nach. Bisher hatte er keine so eigenartige und schwierige Katze wie sie kennengelernt.
» Aber sie ist schnell, so wie sie ihre Beute getötet hat«, sagte er zu sich selbst. » Das ist etwas, was man gesehen haben muss.« Vielleicht gab es für Nizamuddins ungewöhnlichstes Kätzchen doch noch Hoffnung.
11
Die Geschichte des Tigers
U nd wenn man nun einfach niemals töten möchte?«, fragte Mara. Seit Beraal ins Haus gekommen war, hatte das Kätzchen mit ihr über nichts anderes als den erlegten Schmetterling sprechen können.
» Aber du wirst schon
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