Der Clan
die volle, aber sie genügte als Antwort auf seine Frage.
»Kannten Sie den Mann, hatten Sie ihn jemals vorher gesehen?« fragte Nummer Eins.
Ich schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Sie sagen, daß mein Sohn in diesem Brief angeblich seinen Selbstmord begründet?« Seine Stimme zitterte leicht.
»Verdammt, Großvater!« schrie Loren plötzlich. »Das weißt du doch selbst ganz genau. Du kennst doch seine Handschrift! Oder willst du sie vielleicht nicht erkennen, weil es sich hier um dich handelt?« Er holte tief Atem. »Wie Angelo den Brief in die Hände bekam, weiß ich nicht. Ich habe ihn all die Jahre seit Vaters Tod in meinem Tresor aufbewahrt. Die Welt sollte nie erfahren, daß du deinen Sohn zum Selbstmord getrieben hast!«
Er begann zu weinen. »Mein Gott, wie habe ich dich dafür gehaßt! Immer, wenn ich an meinen Vater dachte, wie er mit durchschossenem Kopf auf dem kalten Boden der Bibliothek lag, sein Hirn auf dem Teppich verspritzt, haßte ich dich noch mehr. Doch auch dann konnte ich es noch nicht glauben. Ich
erinnerte mich auch, wie du mit uns gespielt hast, als ich klein war. Aber dann fingst du mit der Betsy an. Da hast du mich genauso behandelt wie einst meinen Vater. Ich faßte einen Entschluß. Du solltest mit mir nicht machen, was du mit ihm gemacht hast. Ich würde dich vorher vernichten!« Er sank auf einen Stuhl und bedeckte sein Gesicht mit den Händen.
»Du glaubst, daß ich all das deinem Vater angetan habe?« fragte Nummer Eins ruhig.
Loren III bekam sich wieder in die Gewalt. Er sah seinem Großvater in die Augen.
»Was soll ich sonst glauben? Ich weiß, wie er starb. Ich habe den Brief gelesen, in dem er dich anklagt und in dem nur dein Name fehlte. Und ich weiß, wie du mir gegenüber gehandelt hast.«
»Hast du dir nie überlegt«, fragte Nummer Eins immer noch ruhig, »daß dein Vater vielleicht einen anderen gemeint haben könnte als mich?«
»Wen sollte er meinen außer dir?« sagte Loren anklagend.
Nummer Eins schaute zu Mrs. Scott hinüber. »Die Wahrheit kommt an den Tag«, erklärte er feierlich. »Wenn man lange genug lebt, holt sie einen ein.«
Sally sah ihn an, dann ihren Sohn, für beide hatte sie den gleichen warmen, mitleidigen Blick. Schließlich sagte sie: »Dein Großvater spricht die Wahrheit, Loren. Dein Vater hat nicht ihn mit dem gemeint, was er schrieb.«
»Das sagst du nur, um ihn zu verteidigen!« warf er ihr vor. »Ich habe die Geschichten über dich und ihn gehört, Mutter. Ich weiß, wie du zu ihm standest. Auch daran erinnere ich mich noch aus meiner Kinderzeit.«
»Loren«, begann Mrs. Scott, »dein.«
»Sally!« unterbrach Nummer Eins sie scharf. »Laß mich es ihm sagen!«
Mrs. Scott beachtete ihn nicht. »Loren, dein Vater war homosexuell. Er hatte mehrere Jahre ein Verhältnis mit einem Mann, der bei ihm arbeitete, Joe Warren. Das war ein krankhafter, schrecklich perverser Mann, und nach seinem Tod glaubten wir, es sei alles mit ihm begraben. Aber das war nicht der Fall.
Warren scheint ihre Beziehung gründlich auf Fotos festgehalten zu haben, die einem ebenso skrupellosen Mann in die Hände fielen.
Er ließ deinen Vater jahrelang bluten, bis dieser es nicht länger aushielt. Wir waren bei der Nachricht von seinem Selbstmord ebenso entsetzt wie du und konnten ihn nicht verstehen.
Aber mit dem Tod deines Vaters hörte die Habgier des Mannes nicht auf. Ich erinnere mich, damals mit deinem Großvater darüber gesprochen zu haben. Er sagte, das einzig Gute daran sei, daß der Erpresser nicht zu dir kam, sondern zu ihm. So würde es dir erspart bleiben, die Wahrheit über deinen Vater zu erfahren.
Dein Großvater sorgte dafür, daß der Erpresser ins Gefängnis flog und daß alle Fotos vernichtet wurden. Es kostete deinen Großvater ein Vermögen, alles zu vertuschen. Und er tat es nicht so sehr für sich, als um dir und deiner Schwester den Kummer zu ersparen. Trotz allem, was vorgefallen war, liebte er doch seinen Sohn, verstehst du, und er wollte das Andenken an deinen Vater schützen.«
Loren III sah sie an, dann seinen Großvater. »Ist das wahr?«
Nummer Eins nickte ernst.
Loren III bedeckte sein Gesicht mit den Händen. Ich war der einzige Außenseiter im Raum. Alle anderen waren Hardemans oder Hardemans gewesen.
Das Telefon klingelte. Nummer Eins beachtete es nicht. Es läutete hartnäckig weiter, schließlich hob er den Hörer ab. »Ja«, sagte er ungeduldig, lauschte einen Augenblick, dann winkte er Alicia. »Für
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