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Der Clown ohne Ort

Der Clown ohne Ort

Titel: Der Clown ohne Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Martini
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überzeugen.
    Irgendwas Abgefahrenes muss während meines Schlafes passiert sein: Ein überdimensionales Wollfschaf? Wol(l)fschaf. In meiner Wohnung? In deiner Wohnung. Es stinkt. Es hat geschissen. Es hat gepisst. Da stehe ich und habe überhaupt keine Ahnung von nichts. Wasistlos? Wie eine junge Birke im Sturm biegt sich mein Verstand, den Gewalten trotzend, unfähig, die Situation einzuordnen, ihr irgendeinen Sinn zu verleihen, den sie irgendwie nicht haben kann.
    Nach ein paar Endlosschleifen bin ich wieder so weit, etwas fassen zu können: Mit geschultem Kennerauge sehe ich, dass dieses Vieh beim besten Willen nicht durch die Eingangstür meiner im siebten Himmel gelegenen Wohnung passt. Außerdem hängt diese müde fest verschlossen wie je in ihren Angeln. Damit ist die Anwesenheit dieses Problems nicht auf natürlichem Weg zu erklären. Logik weist mir den Weg zu ihrem Gegenteil, einem Wunder also, und mir wird bewusst, dass ich Opfer eines ebensolchen geworden bin.
    Immer wenn jemand unabsichtlich Opfer eines Wunders wird, läuft die Gesetzgebung den Tatsachen hinterher. So erscheint anbei ein ganzer Wust objektiv, vor allem aber subjektiv unlösbarer Probleme. Zum Beispiel: Wie soll ich dieses Ding wieder loswerden, schließlich ist in diesem Wohnkomplex selbst das Halten von Hunden und Katzen problematisch? Und dann: schlachten? Als Neuvegetarier kann und will ich meine kürzlich gefällten Grundsätze nicht jetzt schon brechen. Nach diversen Überlegungen komme ich zu der Überzeugung, dass Gottes Willhn schon von selbst verschwinden wird, und zwar genauso plötzlich, wie es auftauchte. Schließlich gehen ja alle Dinge wieder dahin, wo sie herkommen, ins Nichts. Bis dann kann ich ja sehen, ob diesem Kuriosum zumindest etwas Positives abzuringen ist. Also hole ich in Erwartung einer dem Wunder entsprechenden überdimensionalen Menge Milch den Suppentopf aus der Küche, der dann gerade reicht, den Harndrang meines wieder lospissenden Fabeltieres aufzufangen. So viel zum Thema Nutzentheorien bei plötzlich auftretendem Mirakel. Da steh ich also mit ’nem Vieh, das partout nicht frommen will. Ich muss was trinken.
    Drei gut gefüllte Gläser Rum später ist das Wunder um wesentliche, durchweg positive Eigenheiten erweitert. Zwar finde ich keinen Gefallen an zwei Kubikmetern fleischgewordener Fruchtbarkeitsillusion, mit der ich um meinen knappen Lebensraum streiten muss, nur: Was tun? Die Feuerwehr oder Polizei anrufen ist ein naheliegender Vorschlag – mit einer zu ansehnlichen Menge Gras im Schreibtisch und kaputter Eingangstüre … Was tun? Zum Schlächter werden? Niemals! Aus dem Fenster werfen? Unmöglich. Vielleicht – ich hab’s!
Erstens:
mich mit Rum bewusstlos saufen
Zweitens:    
schlafen
Drittens:
aufwachen, leere Wohnung, Entspannungsseufzer, alles gut.
    Mir wird schlagartig klar, dass dieser Plan nicht anders kann als funktionieren: Schließlich ist er vernünftig, also logisch durchdacht, mystisch und enthält einen nicht zu unterschätzenden Anteil an Erfahrung – Gottes Willhn ist ja gen Resorptionsende aufgetaucht – warum sollte er nach einem neuerlichen Anfang nicht wieder verschwinden? Zudem liegt es im Charakter eines Wunders, nur ’n Trip zu sein, und das bleibt ’n Ausflug, und der geht vorbei. Deshalb muss mein Plan funktionieren, er ist ja Weltprinzip. Also setze ich mich mit der Flasche aufs Sofa, das in den letzten Wochen zu meinem Zweitbett mutiert ist, betrinke, rauche mich zu und widme der allmählich aufsteigenden Absurdität die geforderte Aufmerksamkeit. Mit zentraler Sicht auf Fernseher, Küche und Großwol(l)fschaf mache ich mich auf die Spur duschphilosophisch würdigerer Problembereiche. Nach längerer Diskussion mit dem überraschend geschickt argumentierenden Fabeltier merke ich, dass ich besoffen bin, doch was mich wirklich trifft, dass ich so schwer lalle, dass … man kann ja nicht einfach …
    Ich rapple meinen verkrüppelten Körper auf, verschlucke mich, ein ultimativ verzweifeltes Aufbäumen der Lunge, mit letzter Kraft bringe ich einen beißenden Husten zustande. Jesses! Ich stehe auf und haste ins Bad. Die Schüssel schluckt klaglos den buntscheckigen Strahl. In trauter Umarmung vereint erwarten wir die nächste Ladung. Nichts Frisches zu berichten heute Morgen. Im Fenster kitzelt die Sonne den Horizont und entsteigt fröhlich der Morgenröte. Ich entsteige der Brühe in zwei weiteren Ladungen, putze Zähne, leere Blase, entreiße mich den versifften

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