Der Club der Gerechten
völlig verloren fühlte. Aber seit sie den Schacht hinunter geflohen waren, nachdem sie eine Tür hatten klappen hören – ein Geräusch, das an der Oberfläche absolut normal gewesen wäre, in dieser fremden Welt der Tunnels aber merkwürdig klang –, kämpfte sie gegen eine immer stärker werdende Angst an, die allmählich zur Panik wurde.
Hör auf damit, sagte sie sich. Es wird alles gut. Wir werden Jeff finden, und wir werden hinauskommen. Doch als Keith, der einen halben Schritt vor ihr ging, stehen blieb und die Hand ausstreckte, um sie am Weitergehen zu hindern, brachen alle Ängste, die sie so mühsam im Zaum gehalten hatte, fast aus ihr heraus. Sie hätte vielleicht sogar aufgeschrien, hätte Keith ihr nicht die Hand auf den Mund gepresst und sich dann einen Finger an die Lippen gehalten. Mit hämmerndem Herzen strengte sie sich an zu hören, was er gehört hatte, und einen Augenblick später, als ihr dröhnender Herzschlag in seinen gewohnten Rhythmus zurückfiel, vernahm sie es.
Schritte.
Langsame, unregelmäßige Schritte, als fürchte sich derjenige, der da ging, vor irgendetwas.
Oder pirsche sich an etwas heran.
Der Gedanke fiel Heather aus dem Nichts an, und sie versuchte ihn zu verdrängen.
Sie näherten sich einer Kreuzung, wo der Gang, dem sie folgten, einen anderen schnitt. Die schwach beleuchtete Strecke vor ihnen war leer, und sie konnte nicht sagen, aus welcher Richtung die Schritte kamen, aber sie näherten sich unverkennbar. Angst vor dem, der jede Sekunde um die Ecke kommen würde, überflutete sie, und dann ...
Keith umklammerte ihren Arm fester, und als sie sich umdrehte und ihn ansah, bohrte sich sein Blick in den ihren und er flüsterte zwei Worte.
Zwei Worte, die sie in ihrer wachsenden Panik überhaupt nicht verstand, bis er gleich darauf laut sprach.
»Wo's die Flasche?«, fragte er undeutlich. »Hast se doch nich valorn, oder?«
Jetzt wurden auch die zwei Worte klar, die er geflüstert hatte: »Spiel betrunken.«
»Wechgeschmissn«, nuschelte Heather. »War leer.«
»Verdammtes Miststück«, sagte Keith jetzt ein wenig lauter und ging leicht taumelnd auf die Tunnelkreuzung zu. »Hab gedacht, ich hätt dir gesagt, du sollst nich alles saufen.«
Die Haare im Gesicht, schlurfte Heather hinter ihm her.
In der Kreuzung tauchte eine Gestalt auf und drehte sich zu ihnen um. Heather wusste, dass es keiner von den Leuten war, die in den Tunnels lebten, denn nichts an ihm ließ darauf schließen, dass er ein Säufer oder ein Junkie war – oder einer von den anderen Pechvögeln, die man in die Tunnels verbannt hatte.
Er strahlte Selbstsicherheit und Autorität aus, eine Autorität, die noch durch das hässliche Gewehr verstärkt wurde, das er in den Armen hielt. Die metallene Oberfläche glänzte sogar in diesem schwachen Licht der Deckenlampen, und das Magazin, das unten herausragte, verriet Heather, dass es eine automatische Waffe war.
Auf den kurzen Lauf war eine Zielvorrichtung montiert, und die Selbstverständlichkeit, mit der der Mann die Waffe hielt, sagte ihr, dass er sie ohne Skrupel benutzen würde. Er trug einen kleinen Rucksack und war mit einem Tarnanzug bekleidet, wie Heather sie in einem TV-Spezial über Leute in einem Überlebenstraining gesehen hatte. Seine Gesichtszüge verschwanden unter einer Schicht schwarzen Make-ups. Er schien verblüfft, sie hier anzutreffen.
»Hey!«, sagte Keith mit einem idiotischen Grinsen. »Haschte wasch zu trinken?«
Der Mann ignorierte die Frage. »Was macht ihr hier?«, fragte er, und seine Stimme war ebenso herrisch wie seine Haltung. »Es läuft eine Jagd – ihr Leute sollt euch von diesem Sektor fern halten.«
Keith hob mit gespieltem Entsetzen die Hand. »Na, 'tschuldigung zum Teufel. Keiner hat uns nich was von 'ner ...« Er schwankte leicht und beugte sich vor, als könne er den Mann nicht richtig sehen. »Wasch haschte gesagt, isch los?«
Die Miene des Mannes verfinsterte sich. »Egal. Schaut nur, dass ihr von hier verschwindet.« Er zeigte mit der Gewehrmündung auf das entgegengesetzte Ende des Ganges, in dem sie waren. »Ungefähr dreihundert Meter weiter ist ein Schacht. Durch den gelangt ihr in den U-Bahntunnel. Danach sucht euch eine Station und seht zu, dass ihr raus kommt.« Er verzog die Lippen zu einem unangenehmen Lächeln. »Und versucht den Zügen auszuweichen – wenn euch einer überrollt, sind hinterher die ganzen Gleise verdreckt.«
»Hey, alles wasch de sagscht«, nuschelte Keith freundlich.
Weitere Kostenlose Bücher