Der Club der Gerechten
konnte. Sie und Jeff hatten es längst aufgegeben, mit ihren Vätern über dieses Thema zu sprechen, und jetzt war gewiss nicht die richtige Zeit, es wieder auszugraben.
Sie bückte sich und küsste Jeff. »Ich gehe lieber«, sagte sie müde. »Vielleicht erlaubt man mir, später wiederzukommen.«
Jeff streckte die Hand nach ihrem Arm aus, berührte ihn jedoch nicht. »Wir sind hier nicht im Krankenhaus.«
Ihre Blicke trafen sich, dann schweiften Heathers Augen einen Moment zu Keith Converse ab. Als er nichts sagte, setzte sie sich wieder. »Es tut mir Leid«, sagte sie leise. »Ich dachte nur, mein Vater ...«
»Ist schon okay«, fiel Jeff ihr ins Wort. Er warf seinem Vater einen Blick zu. »Hör zu, Dad, an dem was passiert ist, ist keiner schuld. Nicht Heather, nicht ihr Vater, nicht ich. Es ist einfach geschehen. Versuchen wir also, es durchzustehen, okay?« Keith Converse presste die Lippen zusammen, doch er sagte nichts. »Es hätte viel schlimmer kommen können. Wie, wenn ich zu zwanzig Jahren verurteilt worden wäre?«
»Und bei guter Führung kann er schon nach fünf Monaten wieder draußen sein«, fügte Sam Weisman hinzu.
»Er sollte überhaupt nicht reinkommen«, erklärte Keith.
Jeff stand auf und ging zu seinem Vater, fühlte wie der erstarrte, als er ihn umarmte. »Ich werd's überstehen, Dad, und du auch. Im Moment kannst du aber nichts tun. Du wirst dich einfach mit den Dingen abfinden müssen.«
Keith umarmte seinen Sohn ebenfalls. »Du wirst es durchstehen«, sagte er mit vor Bewegung heiserer Stimme. »Lass dich von ihnen nicht fertig machen, okay?«
»Ganz bestimmt nicht, Dad,«
Jeff hielt den Vater noch ein paar Sekunden fest, dann führte der Gefängniswärter ihn hinaus.
3. Kapitel
Eve Harris hätte das Summen ihrer Gegensprechanlage am liebsten überhört. Wie immer war der Tag ein paar Stunden zu kurz gewesen, und obwohl sie ihr Bestes getan hatte, um sich an ihren Stundenplan zu halten, war es ihr nicht gelungen – auch wie immer. Zuerst hatte die Sitzung des Stadtrats eine Stunde länger gedauert als vorgesehen, was nicht schlimm gewesen wäre, denn sie hatte am ersten Tag ihrer ersten Amtsperiode beim Stadtrat gelernt, dass keine Sitzung dieses Verwaltungsapparates jemals rechtzeitig enden würde. Zu viele Egos wollten das letzte Wort haben.
Es waren die Treffen mit den Wählern, die ihren Stundenplan stets völlig durcheinander brachten, denn obwohl Eve durchaus fähig war, die Sermone der größten Wichtigtuer unter ihren Stadtratskollegen an sich vorbeirauschen zu lassen, war sie absolut nicht imstande, ein Meeting mit den Massen von New Yorks nicht Wahlberechtigten abzubrechen oder sich gegen ihre Klagen taub zu stellen. Während der ersten beiden Amtsperioden hatte sie sich den Ruf erworben, nicht nur in dem am leichtesten zugänglichen Büro des Stadtrats zu sitzen, sondern auch die offensten Ohren zu haben.
Wenn ihre Wähler redeten – egal wie unartikuliert –, hörte Eve Harris zu. So war es immer gewesen, seit ihrem ersten Tag in der Public School in der 126 th Street in Harlem; schon damals schienen alle anderen Kids mit ihren Problemen zu ihr zu kommen, und das hatte sich fortgesetzt bis zu ihrer Graduierung an der Columbia University, die sie magna cum laude in zwei Hauptfächern, Soziologie und Städteplanung, abgeschlossen hatte. Nichts hatte sich geändert, auch nicht nachdem sie Lincoln Cosgrove geheiratet, ihre Mutter aus Harlem herausgeholt und in ihrem Apartment zwei Blocks südlich der Columbia untergebracht hatte; sie selbst war in Lines riesiges Duplex auf dem Riverside Drive gezogen. Ihren Job bei der Stadt behielt sie bei und tat, was sie konnte, um den Ärmsten das Leben leichter zu machen. Endlose Stunden verbrachte sie damit, so viele Probleme zu lösen wie möglich, und ebenso viele Stunden, sich Probleme anzuhören, für die es keine Lösungen zu geben schien.
Aber Eve Harris, die es sogar abgelehnt hatte, ihren Namen mit Bindestrich mit dem von Line zu verbinden – geschweige denn, den ihren aufzugeben –, hatte immer behauptet, in einer Stadt so komplex wie New York könne es keine unlösbaren Probleme geben, so schwierig sie auch scheinen mochten. Man musste ganz einfach die richtigen Köpfe finden, sie mit den Problemen vertraut machen und die Lösungen in die Tat umsetzen. Deshalb hatte Eve sich ein Jahr nach Lines Tod – sein Herz hatte an ihrem allerersten gemeinsamen Urlaubstag am Strand von Jamaika ganz einfach aufgehört zu
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