Der Club der Gerechten
schlagen – einverstanden erklärt, für den Stadtrat zu kandidieren. Sie bestritt den Wahlkampf mit ihrem eigenen Geld und lehnte es ab, Geldspenden von mehr als zehn Dollar anzunehmen; am Ende hatte sie mehr Stimmen gehabt als alle anderen Kandidaten zusammengenommen.
Seit damals stand die Tür ihres Büros für alle Menschen offen, die keinen anderen Zugang zu den Machtstrukturen ihrer Stadt fanden.
Sie arbeitete selten weniger als sechzehn Stunden täglich und nahm keinen Tag Urlaub. Und jeden Tag schien es, als gebe es noch mehr Probleme, die man angehen sollte, und immer weniger Zeit, um sie zu lösen.
Die Gegensprechanlage summte ein zweites Mal, und Eve drückte auf die Sprechtaste. »Was gibt es, Tommy?«
»Kanal Vier«, sagte Tommy. »Sie wollen es bestimmt sehen.«
Kaum den Blick von der endgültigen Fassung der Rede abwendend, die sie heute Abend halten wollte, schaltete Eve den Fernseher ein und suchte Kanal Vier. Sie erkannte das Gesicht auf dem Schirm – Cindy Allen, die vergangenen Herbst in der U-Bahnstation 110 th Street beinahe ermordet worden wäre. Doch es war nicht Cindy, die sprach, sondern ihr Mann. »... genauso gut hätte man ihn freisprechen können! Wie soll sich irgendjemand auf der Straße noch sicher fühlen, wenn ...«
Die Augen noch immer auf ihr Manuskript gerichtet, schaltete Eve Harris den Fernseher aus und drückte auf die Sprechtaste. »Wie viel hat er bekommen?«, fragte sie ohne Einleitung. Nach fünf Jahren als ihr Assistent würde Tommy haargenau wissen, was sie meinte.
»Er kommt in sieben Monaten wieder raus, in fünf bei guter Führung.«
Eve seufzte schwer – wäre Jeff Converse ein Schwarzer gewesen, kein Weißer, hätte er Glück gehabt, nach fünfzehn Jahren freizukommen. Und von morgen früh an würden Familien und Freunde ihrer halben Wählerschaft in ihrem Büro anrufen und fragen, warum ihre Söhne, Liebhaber und Väter jahrelang im Knast sitzen mussten, während man dem weißen Jungen nur mal schnell auf die Finger klopfte.
Und Eve wusste, dass sie keine Antworten bereit hätte.
Es war einfach nur eine Unfairness mehr.
Eine Sache mehr, an der sie arbeiten musste.
Sie schob das Redemanuskript weg und wählte die Nummer des Bezirksstaatsanwalts. »Was meinen Sie zu dem Jeff Converse-Urteil?«, fragte sie, als Perry Randall sich meldete. Sie hörte ihm fast fünf Minuten zu und schüttelte dann den Kopf. »Was soll ich meinen Leuten sagen, Perry?«, fragte sie. »Und ganz nebenbei – meiner Mama? Sie wohnt nur einen Block von der U-Bahn-Station entfernt.« Sie wartete nicht auf Antwort, denn sie wusste, auch der Staatsanwalt würde keine haben. »Oh, ich gebe nicht Ihnen die Schuld. Das wäre doch falsch, oder?« Sie legte auf und starrte dann kopfschüttelnd den Apparat an.
»Das ist der Haken«, sagte sie leise vor sich hin. »Nie ist irgendjemand schuld.«
Und das, wurde ihr klar, als sie zu ihrer Rede zurückkehrte, war genau der Grund, warum alles, was sie tat, so wichtig war.
Um acht Uhr abends peitschte der Wind kalte Regenschauer durch den Foley Square und den Park um das Rathaus, doch Eve Harris dachte gar nicht daran, ein Taxi zu rufen, geschweige denn einen der städtischen Dienstwagen zu benutzen, die ihr immer zur Verfügung standen. Sie lief stattdessen zur U-Bahn; den Kopf gesenkt, stemmte sie sich Wind und Regen entgegen und flitzte zusammen mit ein paar Leuten, die ebenfalls drei Stunden länger als die Kollegen im Büro geblieben waren, die Treppe hinunter. Nach einem Taxi Ausschau zu halten oder einen Dienstwagen zu nehmen hätte auch nicht geholfen – die Taxis waren alle in dem schwarzen Loch verschwunden, das sie jedes Mal, Minuten nachdem die ersten Regentropfen gefallen waren, aufzusaugen schien, und mit dem Wagen hätte sie zum Waldorf-Astoria doppelt so lange gebraucht wie mit der U-Bahn. Sie zog ihre MetroCard mit geübtem Schwung durch den Entwerter, schob sich durch das Drehkreuz und lief hinunter zu dem Bahnsteig, von dem der Zug abfuhr, der sie praktisch bis unter das Hotel bringen würde. Als er ratternd und rumpelnd anhielt, warf Eve einen Blick auf ihre Uhr. Zum Dinner kam sie zwar zu spät, doch das war nicht schlimm, die meisten Leute, über die sie heute Abend sprechen wollte, erhielten kein Abendessen. Warum sollte sie dann eins bekommen? Sie wusste jedoch, dass sie auf dem Podium stehen würde, sobald Monsignore McGuire bereit wäre, sie vorzustellen. Alles okay also. Sie stieg in den Wagen, ließ sich
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