Der Club der Gerechten
doch Arch Cranston, der die Augen durch den Raum schweifen ließ, um abzuschätzen, wie viele Leute Eves Ausbruch gehört haben mochten, tat es nicht.
»Ach, kommen Sie, Eve«, sagte er laut genug für die Frau am Nebentisch, damit sie ihn genauso deutlich hören konnte wie sie Eve Harris gehört hatte. »Lassen Sie Carey in Frieden. Sie wissen doch, was für Menschen in den Tunnels leben. Verdammt, Sie wissen es wahrscheinlich besser als unsereiner. Und Sie wissen, wie es dort unten zugeht.«
Eves Lippen lächelten, ihre Augen nicht. »Wir alle wissen, wie es dort unten aussieht«, sagte sie. »Und wir wissen, was dort los ist. Aber manchmal denke ich, ich bin die Einzige in dieser Stadt, die wirklich etwas dagegen tun will. Ihr übrigen wollt nur ...« Sie unterbrach sich, denn sie wusste, dass sie anfing sich zu wiederholen wie eine gesprungene Schallplatte. Außerdem war jedem am Tisch klar, was die anderen dachten.
Sie wusste auch, dass Leute in ihren Positionen nie ihre wirklichen Wünsche in der Öffentlichkeit diskutierten.
Die Wahrheit wurde immer für Gespräche in privatester Umgebung aufbewahrt.
Und das war eine Regel, die selbst Eve Harris beibehalten wollte.
17. Kapitel
Heather Randall stand am Fenster von Jeffs Apartment, wo auch Keith gestanden hatte, als sie vor einer halben Stunde auf der Straße aufgetaucht war. An der Ecke, schräg gegenüber vom Drugstore, lag Jeffs liebstes Chinarestaurant, wo sie ihn oft in der vordersten Nische angetroffen hatte, konzentriert über ein Lehrbuch gebeugt. Jetzt verdrängte sie die Erinnerung und wandte sich vom Fenster ab.
Das Zimmer war noch genauso wie an dem Abend, an dem Jeff verhaftet worden war. Das letzte Projekt, an dem er gearbeitet hatte – der Entwurf eines kleinen Büro-und Gästehauses für einen Nachbarn ihres Vaters in den Hamptons – war noch immer an das Zeichenbrett auf dem einzigen Tisch des kleinen Raumes geheftet. Mit dem Finger zog sie die anmutigen Linien der unfertigen Zeichnung nach – Linien, denen es gelang, die Architektur des Haupthauses beizubehalten, ohne sie zu kopieren.
Die Zeichnung, wie das Zimmer selbst, schien die Zeit festgehalten zu haben, schien darauf zu warten, dass Jeff zurück kam.
Doch das war absurd – Jeff kam nicht zurück, trotz der merkwürdigen Geschichte, die sein Vater ihr eben erzählt hatte. Doch während sie abermals versuchte, Keiths Phantasien zu verdrängen, stellte sie sich vor, dass Jeff sagte: Wir werden es wissen, wenn wir da sind.
Sie ließ die Augen durch das Zimmer wandern. Alles, angefangen bei den Postern mit Jeffs Lieblingsgebäuden an den Wänden, bis zu den Regalen mit Büchern über Architektur, Poesie, Zoologie war ihr so vertraut wie die Dinge in ihrem Zimmer auf der Fifth Avenue. In gewisser Weise sogar noch vertrauter, denn obwohl der Raum so eng und die Möbel abgenutzt waren, hatte sie sich hier immer mehr zu Hause gefühlt als in dem höhlenähnlichen Apartment, in dem sie aufgewachsen war.
»Ich liebe dieses Zimmer«, sagte sie, fast ebenso sehr zu sich selbst wie zu Keith. Er saß rittlings auf einem schäbigen Sessel, den sie und Jeff bei einem ihrer Sonntagsspaziergänge auf einem Flohmarkt entdeckt hatten. Für fünf Dollar hatte man sich dieses Schnäppchen wirklich nicht entgehen lassen dürfen. Jeff hatte gerade begonnen, den Sessel zu restaurieren, als er verhaftet worden war. Jetzt ruhten die Hände seines Vaters auf der abgeschmirgelten Eichenlehne, und er beobachtete sie in einer Weise, die sie an Jeff erinnerte. »Wie lange wollen Sie es behalten?«, fragte sie und ließ die Augen wieder durch den Raum schweifen.
»Es gehört nicht mir, also kann ich es weder behalten noch aufgeben«, antwortete Keith. »Es gehört Jeff. Ich bezahle nur die Miete, bis er wiederkommt.«
Heather ging zum Fenster zurück und schlug die Arme um sich in unbewusster Abwehr gegen die Kälte, die plötzlich über sie hereinbrach. »So sicher sind Sie, dass er wiederkommt?«
»Wenn er tot wäre, wüsste ich's. Er ist mein Sohn. Wenn ihm etwas passiert wäre, würde ich es spüren. Und ich spüre es nicht.« Obwohl sie ihm noch immer den Rücken kehrte, spürte sie, wie seine Blicke sie durchbohrten. »Sie spüren es auch nicht«, fuhr er fort. »Deshalb sind Sie heute Abend hergekommen.«
Mit glitzernden Augen fuhr Heather herum. »Ich weiß nicht, warum ich heute Abend hergekommen bin«, begann sie. »Ich wollte – ich habe nur ...« Doch dann erkannte sie, wie wahr seine
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