Der Club der Gerechten
vorübergingen, aber als Heather sie anlächelte, drehte sie sich rasch um und tat, als habe sie sie nicht gesehen.
In etwa fünfzig Meter Entfernung entdeckten sie Eve Harris. Sie saß auf einer Bank und unterhielt sich mit einer Frau, die einen Rock mit Paisleymuster, eine purpurfarbene Bluse und einen zerrissenen Kolani trug. Als Heather und Keith näher kamen, stand die Stadträtin auf, aber ihre Begleiterin musterte sie misstrauisch. »Das sind die Leute, von denen ich dir erzählt habe«, sagte Eve zu ihr, nahm Heathers Hand und zog sie näher. »Heather Randall und Keith Converse. Und das«, fuhr sie fort, »ist meine gute Freundin Tillie.« Sie sah auf ihre Uhr. »Ich habe Tillie erklärt, worüber Sie mit ihr sprechen wollen, und sie hat gesagt, sie wird es sich anhören. Aber es gibt keine Garantie dafür, dass sie Ihnen helfen kann. Ist das klar?«
»Ist klar«, sagte Keith.
Offensichtlich zufrieden, bückte sich Eve Harris, umarmte Tillie und küsste sie auf die Wange. »Pass auf dich auf, hörst du?«
Tillie scheuchte sie mit einer Handbewegung weg. »Mach dir um mich keine Sorgen«, sagte sie. »Ich pass schon seit vielen, vielen Jahren auf mich auf.« Das klang zwar schroff, doch sie lächelte dabei und entblößte einen Mund voller abgefaulter Zähne. »Halt du dich selber aus Schwierigkeiten raus, okay?«
»Ist doch klar«, versicherte ihr Eve. »Ich kann genauso gut auf mich aufpassen wie du.«
»Na, wenn du's nich besser kannst, dann bist du in Schwierigkeiten. Jetzt verschwinde, und ich kümmere mich um diese beiden.« Tillies Lächeln verschwand mit Eve Harris, und als sie sich wieder Keith und Heather zuwandte, war ihr Blick voller Misstrauen. »Sie hat gesagt, ihr sucht jemanden. Wen denn?«
»Meinen Sohn«, sagte Keith und setzte sich neben sie auf die Bank. »Er heißt Jeff Converse.«
Tillie spitzte die Lippen und schüttelte dann den Kopf. »Und wieso glaubst du, dass er in den Tunnels ist?«
»Ein gewisser Al Kelly hat es mir gesagt«, antwortete Keith. »Er hat ihn mit einem Mann namens Scratch hinein gehen sehen.«
Wieder schüttelte Tillie den Kopf. »Ich glaub nich«, sagte sie. »Ich glaub, ich weiß von keinem was.«
Ein Mädchen in Jeans und Flanellhemd tauchte neben Tillie auf. Sie musterte Keith und Heather eindringlich. »Belästigen sie dich, Tillie?«
Tillie schüttelte den Kopf. »Ist schon okay – sie suchen nur jemanden.« Sie grub in einer Innentasche ihres Kolani und holte eine Hand voll Geld heraus, dass sie dem Mädchen gab. »Geh mit Robby nach der Schule einkaufen, okay? Kauf ihm, was er braucht, damit die anderen Kids ihn in Ruhe lassen.« Das Mädchen nahm das Geld, sah Keith und Heather noch einmal durchdringend an und ging los. »Jinx?«, rief Tillie. Das Mädchen blieb stehen und blickte zurück. »Du bringst mir Quittungen und das Kleingeld. Und beides sollte stimmen.« Jinx verdrehte die Augen und flitzte davon. Tillie stand auf. »Macht euch lieber auf den Weg.«
»Aber wir wollten nur ...«, begann Heather, doch Tillie ließ sie nicht zu Ende sprechen.
»Ich hab euch alles gesagt, was ich zu sagen hatte. Miz Harris hat gewollt, dass ich mit euch rede, und das hab ich gemacht. An eurer Stelle tät ich dorthin zurückgehn, wo ihr hergekommen seid. Es gibt Sachen, von denen Leute wie ihr nix wissen könnt und nie was wissen werdet. So isses nun mal.« Sie drehte sich um und ging in entgegengesetzter Richtung den Weg hinunter.
Heather sah ihr nach, und das Fünkchen Hoffnung, das während der letzten Stunden in ihr geflackert hatte, erlosch beinahe. Aber als sie sich Keith zuwandte, funkelten seine Augen aufgeregt. »Sie weiß was«, sagte er leise und eindringlich. »Sie weiß was, will es uns aber nicht sagen.«
»Warum sollte sie es uns nicht sagen wollen?«, protestierte Heather. »Wenn sie weiß ...«
»Sie ist wie alle anderen«, antwortete Keith. »Die Männer auf den Gleisen und die Frau im Zelt. Haben Sie sie nicht gehört? Sie hat gesagt, Leute wie wir. Nur darum geht es – sie sprechen nicht mit uns, weil wir nicht sind wie sie.«
»Was sollen wir dann tun?«, fragte Heather.
»Sie tun gar nichts«, sagte Keith. »Aber ich ziehe um.«
Ihren Einkaufswagen vor sich herschiebend, spazierte Tillie langsam durch den Riverside Park. Sie hatte es nicht eilig – hatte es nie eilig gehabt. Außer in ihrer Jugend. Damals hatte sie es eilig gehabt. Zu eilig. Sie wollte Schauspielerin werden und war mit Achtzehn in New York gelandet,
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