Der Club der Gerechten
telefonieren Sie mit Mary. Benehmen Sie sich gegen sie nicht wie ein Arschloch – so wie sich mein Vater gegen meine Mutter benimmt.« Über ihren Ausbruch erschrocken, fuhr Heather sich mit der Hand an den Mund, schüttelte dann fast entsetzt den Kopf. »Tut mir Leid«, flüsterte sie. »Das hätte ich nicht sagen dürfen. Ich meine ...«
Doch jetzt schüttelte Keith den Kopf. »Ist schon okay«, erwiderte er, und sein Zorn verrauchte genauso schnell wie der ihre. »Sie haben Recht – egal was für Probleme wir haben, Mary und ich, es war falsch, dass sie das allein durchstehen musste.« Er lächelte – zum ersten Mal seit sie Jeffs Apartment betreten hatten. »Tatsächlich waren Sie einer der Hauptgründe, warum wir uns gestritten haben – Mary war immer der Meinung, Sie seien das Beste, das Jeff je passiert ist, und wie Sie bestimmt wissen, war ich ganz anderer Ansicht. Jetzt stellt es sich heraus, dass ich im Unrecht war.« Er griff zum Telefon und wählte Marys Nummer.
»Ich bin's«, sagte er, als sie abnahm. »Du hast Recht, ich bin in Jeffs Wohnung. Ich ... nun, wenn ich dir sagen würde, was ich vorhabe, würdest du mich für noch viel verrückter halten, als du's ohnehin schon tust.«
»Du hast Recht«, sagte Mary. »Ich will's nicht wissen.« Kurzes Schweigen, dann: »Komm auf jeden Fall morgen in die Messe, ja?«
Bevor Keith antworten konnte, wurde das Telefon in seiner Hand stumm.
»Es kann nicht so leicht sein«, sagte Jeff. Der Fleck Tageslicht war stetig größer geworden, und jetzt zog er sie wie ein Magnet aus den grimmigen Schatten des Eisenbahntunnels hinaus.
»Warum nicht?«, fragte Jagger, die Augen auf den Streifen blauen Himmels vor ihnen gerichtet. »Wir müssen nur rauskommen, sonst nix, hat's geheißen – und dass wir frei sind, wenn wir's schaffen.« Er machte einen weiteren Schritt auf das blaue Leuchtfeuer zu, aber Jeff hielt ihn am Arm fest.
»Es kann nicht so leicht sein«, sagte er. »Sie lassen uns bestimmt nicht so einfach hinausspazieren.« Er hatte jetzt das unangenehme Gefühl, dass sie in den Schatten nicht allein waren, dass sie jemand irgendwo in der Finsternis beobachtete. Er sah sich um, war aber von dem strahlenden Tageslicht geblendet, und im Gegensatz dazu waren die Schatten undurchdringlich pechschwarz.
Wenn jemand hinter ihnen war – und er konnte es fast spüren, dass seine Vermutung stimmte –, waren er und Jagger eine perfekt gerahmte Silhouette vor dem hellen Himmelsprospekt. Er zog sich von der Gleismitte seitlich in den Schatten zurück – ein Wesen der Dunkelheit, das auf die Gefahren des Tageslichts reagierte.
Doch Jagger ging schon weiter auf das Licht zu. Da er den Gefährten nicht verlassen wollte, folgte ihm Jeff. Nach etwa achtzig Schritten konnten sie den Tunnelausgang sehen. Obwohl die Gleise noch überdacht waren und sich auf der Ostseite eine feste Betonwand hinzog, war die Westseite gegen den Hudson River hin offen. Im Norden sahen sie die George Washington Bridge und jenseits des Flusses die bewaldeten Höhen von New Jersey in den leuchtenden Farben des Herbstes.
»Heilige Scheiße«, flüsterte Jagger. »Schau dir das an! Wir haben's geschafft, Mann! Wir sind draußen.«
Jeff erkannte, wo sie waren. Direkt über ihnen lag das südlichste Ende des Riverside Parks. Von den Spaziergängen, die er in einem anderen Leben mit Heather durch den Park unternommen hatte, wusste er, dass ein hoher Zaun die Gleise vom Park trennte. Er sollte die Leute von den Schienen und den Tunnels fernhalten. Ein Zaun, der sie jetzt einschloss. Doch er war nicht unüberwindlich. Schließlich waren sie nicht auf Rikers Island, wo die Gefängnisgebäude von zwei Zäunen umgeben und das Niemandsland dazwischen mit Rollen eines besonders heimtückischen Stacheldrahts ausgefüllt war. Hier gab es nur ein Hindernis, vielleicht zweieinhalb bis drei Meter hoch. Den Abschluss oben bildete Stacheldraht, doch er erinnerte sich, dass eines Tages ein paar Kids über den Zaun geklettert waren, um ein Modellflugzeug zu holen, dessen Motor im falschen Moment ausgesetzt hatte. Zwar hatte eine Mutter ihrem Sohn laut hinterher geflucht, doch der Junge hatte sie nicht beachtet und war, flink wie ein Schimpanse im Central Park Zoo, den Zaun hinaufgeklettert. Wenn diese beiden Jungen es fertig gebracht hatten, konnten er und Jagger es auch schaffen.
Doch noch während er sich sagte, dass Flucht möglich war, warnte ihn ein Instinkt, dass etwas nicht stimmte, nicht so leicht
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