Der Club der Gerechten
Hunger sich vor Stunden bei ihm bemerkbar gemacht hatte, war er zunächst entschlossen gewesen, ihn einfach zu ignorieren – der Lunch war eine Mahlzeit, die er oft übergangen hatte, und bevor er verhaftet worden war, hatte er es fast ganz aufgegeben, sie wahrzunehmen. Doch im Gefängnis war das Essen etwas geworden, das die Monotonie der Tage unterbrach, und obwohl sein Gaumen sich nie so recht an die Gefängniskost gewöhnen wollte, hatte sein Magen es offenbar getan. Das leichte Hungergefühl, das sich vor ein paar Stunden gemeldet hatte, war inzwischen viel lästiger geworden.
Als er und Jagger sich in das Dunkel zurückgezogen hatten – die Augen noch immer auf das lockende Sonnenlicht gerichtet, das für sie unerreichbar blieb –, war er überzeugt gewesen, dass sie schnell einen anderen Ausgang finden würden.
Es musste Hunderte von Fluchtwegen geben – bestimmt konnten sie einen Kanal finden, der sich bei Gewittern in den Fluss entleerte, oder einen Schacht, der zu einem Einstiegsloch auf einer Straße führte.
In seiner Erinnerung sah er Dutzende von Kanalgittem auf Straßen, Gehsteigen, in den Parks vor sich – und alle führten in das Labyrinth unterirdischer Gänge unter der Stadt. Bestimmt fanden sie sehr schnell einen Schacht. Dass alle bewacht wurden, war einfach unmöglich.
Oder?
Bevor sie sich vom letzten Schimmer Tageslicht abwandten, versuchten sie eine Strategie zu entwickeln. Sie schien nicht schwierig: Die Jäger – wer sie auch waren – wussten, dass er und Jagger sich auf der West Side aufhielten. Also sollten sie sich langsam nach Osten vorarbeiten. Irgendwo würden sie einen unbewachten Fluchtweg an die Oberfläche finden.
Ihrem Plan folgend waren sie in östlicher Richtung aufgebrochen, hatten jedoch nach einer, vielleicht auch zwei Stunden völlig die Orientierung verloren.
Anfangs war es nicht schwierig gewesen, der Richtung zu folgen, die sie sich vorgegeben hatten – die Gänge schienen dem rechtwinkligen System der Straßen an der Oberfläche zu gleichen. Sie hielten sich von den dunkelsten Bereichen fern und versuchten auf der oberen Ebene zu bleiben, weil sie Tillies Warnung beherzigten, dass die Menschen immer verrückter wurden, je weiter hinunter sie kamen. Aber an einigen Kreuzungen stellten sich ihnen Gruppen von Männern mit harten Augen in den Weg – Gangs, stark genug, um sogar Jagger einzuschüchtern.
Da der Weg nach oben blockiert war, blieb ihnen schließlich nichts anderes übrig als tiefer zu steigen, und inzwischen war es Stunden her, dass Jeff eine Vorstellung hatte, wo sie sich befanden, von einem Fluchtplan ganz zu schweigen.
Die Tunnels fingen an alle gleich auszusehen – der, in dem sie sich eben aufhielten, wurde von Rohrleitungen gesäumt und etwa alle hundert Meter von einer Glühbirne beleuchtet, die gerade hell genug war, ihnen ein Stückchen ihres Weges zu zeigen, aber trotzdem so schwach, um sie die meiste Zeit in tiefstem Dunkel zu lassen.
Plötzlich umschlossen Jaggers kräftige Finger Jeffs Arm. »Da vorn is was«, flüsterte er so leise, dass kein Echo ihre Anwesenheit verraten konnte.
Jeff spähte in die Dunkelheit und sah, was Jagger meinte.
Einen schwachen orangefarbenen Schein.
Ein Lagerfeuer vielleicht.
Sie blieben, wo sie waren, erstarrt im Dunkel, hielten nach einer Bewegung Ausschau, bemühten sich, einen Laut zu hören.
Alles war still.
»Bleib hier«, flüsterte Jagger. »Ich geh nachschaun.«
»Wir gehen beide«, flüsterte Jeff zurück. Bevor Jagger ihm widersprechen konnte, hatte er sich von seinem Griff befreit und schlich auf den hellen Schein zu. Er kam aus einer Öffnung in der Betonwand des Tunnels, einer Öffnung, die der glich, die zu den Räumen führte, in denen Tillie und ihre Familie hausten.
Aber wie viele solcher Räume mochte es geben?
Und was für Leute hatten dort Unterschlupf gesucht?
Als die Öffnung in der Wand nur noch fünf Meter entfernt war, blieben sie wieder stehen und lauschten auf das leise Knistern und Knacken brennenden Holzes.
Noch immer keine Stimmen.
Sie schlichen näher, dann machte Jagger einen Satz vorwärts und presste sich auf der anderen Seite der Öffnung an die Wand. Jeff wollte ihm folgen, doch Jagger hob die Hand und signalisierte ihm, er solle bleiben, wo er war. Gleich darauf tauchte ein Schatten in der Tür auf und jemand sagte schroff: »Lester, bist du's?«
Jeff presste sich an die Wand, aber zu spät. Eine Gestalt erschien im Tunnel, und der Strahl einer
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