Der Club der Teufelinnen
Dies waren ihre letzten gemeinsamen Tage. O nein, nicht jetzt. Auch so war diese Woche schon sehr hart. Und nun das. Scham durchzuckte sie, und sie räusperte sich. »Bei einer so kurzen Frist weiß ich nicht …«
»Du wirst das schon machen. Ich bin selbst ganz zu«, entgegnete er tonlos. Sie setzte sich auf. Warum diese Eile? Warum diese grauenvolle Hetze?
»Ist denn an alles gedacht worden? Was ist mit den Blumen und all diesen Sachen? Ich meine …« Ihre Kehle schnürte sich zusammen, Tränen stiegen ihr in die Augen. Sie versuchte, ruhig zu bleiben. »Was ist mit der Ansprache, Gil?«
»Ich habe alles veranlaßt, Anne. Ruf nur ihre Freunde an. Also, in Campbell's Bestattungsinstitut, morgen, zehn Uhr.«
»Um zehn?« Sie schüttelte den Kopf, verstand immer noch nichts. »So schnell? Ich …«
»Tu, was du kannst. Und vielen Dank.« Er hängte ein. Sie war entlassen. Annie hielt weiterhin den toten Hörer in der Hand. Sie vermochte kaum zu atmen. Du Bastard, dachte sie. Du eiskalter Bastard. Langsam legte sie den Hörer auf.
Cynthia hat sich das Leben genommen. Cynthia ist tot. Annie kauerte sich im Bett zusammen, Kälteschauer überliefen sie, trotz der Daunendecke. Nur eine Minute daliegen, in der sicheren Dunkelheit unter der Bettdecke. Spür deine Gefühle, ganz wie Dr. Rosen, ihre Ex-Therapeutin, es empfohlen hatte. Sie streckte sich unter der Decke. Pangor, der Siamkater, kam leise ins Zimmer und sprang zu ihr aufs Bett. Cynthia, die liebe, süße, lustige Cynthia war tot. Es war entsetzlich. Doch seltsamerweise kamen keine Tränen.
Aber Erinnerungen. Cynthia, ihre Freundin im Internat bei Miß Porter. Ihre Zimmergenossin. Sie war so lieb zu ihr gewesen. Als Annie beim ersten Mal abends beim Ausziehen verschämt im Unterhemd dastand, hatte Cynthia sie nicht ausgelacht. Sie hatte ihr einfach einen BH gereicht, sich umgedreht und gesagt: »Besser, du ziehst den an, sonst machen sich vielleicht die anderen Mädchen über dich lustig.«
Sie und Cyn hatten gleichzeitig ihre ersten Liebesaffären gehabt. Cynthias Bruder hatte sie Aaron vorgestellt, und als sie heirateten, war Cynthia ihre Brautjungfer gewesen. Dann hatte Cynthia Gil geheiratet. Und beide hatten sie zur gleichen Zeit eine Tochter bekommen.
Carla, Cynthias Tochter, würde jetzt so alt sein wie meine Sylvie, dachte Annie. Gemeinsam hatten sie ihre Schwangerschaft erlebt. Carla war ein wunderschönes, geradezu perfektes Baby gewesen. Es hatte Annie geschmerzt, als sie sah, wie Carla heranwuchs und sich entwickelte, während es mit Sylvie so langsam ging. Dann, an einem Tag im März, war Carla von einem Wagen angefahren worden, als sie aus dem Schulbus stieg. Wegen ihres heimlichen Neides hatte Annie sich doppelt schuldig gefühlt. Sie hatte sich an der wochenlangen Krankenwache im White Plains-Hospital beteiligt, wo das Kind im Koma dahindämmerte. Hirntod. Mit der Zeit waren die meisten anderen Freunde von Cynthia weggeblieben, aber Annie machte weiter. Sie konnte nicht helfen, aber sie hätte den Gedanken nicht ertragen, daß Cynthia auch von ihr allein gelassen wurde.
Dann, eines Morgens Ende Mai, war Cynthia noch bleicher als gewöhnlich und mit tiefen Schatten unter den Augen, in das sonnige Zimmer getreten. Mit lauter, ausdrucksloser Stimme hatte sie quer durch den Raum zu ihr gesagt: »Er will, daß das Beatmungsgerät abgeschaltet wird. Gil will, daß es zu Ende ist.«
Annie war aufgestanden, und Cynthia sank in ihre ausgebreiteten Arme, legte den Kopf trostsuchend an ihre Schulter. Dann weinte sie, völlig lautlos, aber ihr ganzer Körper bebte und ihre Tränen waren so heiß gewesen, daß es sogar der sonst immer fröstelnden Anne zu warm wurde. Doch rührte sie sich nicht, und sie hatte Cynthia lange, sehr lange in den Armen gehalten. Als Cynthia schließlich zu weinen aufhörte, hatte sie tief Luft geholt, Annie geradeheraus angeblickt und gesagt: »Meine Mutter hat mich nie geliebt.« Auf diese zusammenhanglose Äußerung hatte Annie mit einem Nicken geantwortet, Cynthia hatte die Achseln gezuckt, ein Taschentuch hervorgezogen und sich die Augen getrocknet.
Noch am selben Nachmittag hatte man das Kind vom Beatmungsgerät genommen, und in den frühen Abendstunden war es gestorben. Bald nach der Beerdigung waren die Griffins auf eine Europareise gegangen, um dann kurz nach ihrer Rückkehr ihr Haus zugunsten eines anderen, größeren in Greenwich zu verkaufen.
In der Zwischenzeit waren die beiden Jungs von Annie ins
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