Der Club der unsichtbaren Gelehrten
dem anderen Nasenloch heraus und in seinen Tee zu schießen. Glenda musste kurz mit ihrem Gewissen ringen, ob sie ihn darauf hinweisen sollte, behielt aber die Oberhand.
»Ich dachte mir, es ist besser, wenn Sie das wissen, schon allein deshalb, weil die Leute oben in den Schwestern zu Ihnen aufsehen«, sagte Ottomy. »Ich erinnere mich noch an Ihre Mutter. Eine wahre Heilige, die Frau. Immer und überall war sie zur Stelle und half, wo sie nur konnte.«
Und überall wollten sie was von ihr, dachte Glenda. Von wegen kleiner Finger. Als sie starb, konnte sie froh sein, noch sämtliche Finger an den Händen zu haben.
Ottomy trank seinen Becher aus und knallte ihn seufzend auf den Tisch. »Denn mal los, ich kann ja nicht den ganzen Tag hier herumstehen, oder?«
»Ja, ich bin sicher, dass es noch viele andere Orte zum Herumstehen gibt.«
Ottomy blieb unter dem Türbogen stehen und wandte sich mit einem Grinsen noch einmal zu Juliet um.
»Das Mädchen war Ihnen wie aus dem Gesicht geschnitten, ich schwör’s. Mit ’nem Burschen von den Döseln. Schon erstaunlich. Sie müssen eine Doppelgängerin haben. Aber das wird wohl für immer ein Geheimnis bleiben müssen, wie einmal ein Mann sagte, als er einer Sache auf die Spur kam, die für immer ein Geheimnis bleiben musste. Tschühüss …«
Er blieb lieber auf der Stelle stehen, als in das silbrig funkelnde Messer zu laufen, das Glenda – nicht direkt drohend – dicht vor seine Kehle hielt. Voller Befriedigung sah sie seinen Adamsapfel auf und ab hüpfen wie ein aus dem Takt geratenes Jojo.
»Oh, tut mir leid«, sagte sie und senkte die Klinge. »In letzter Zeit hab ich immer ein Messer in der Hand. Wir waren gerade beim Schweinefleisch. Ganz ähnlich wie Menschenfleisch, das vom Schwein, so sagt man jedenfalls.« Sie legte ihm die freie Hand auf die Schulter und sagte: »Ist vielleicht keine besonders gute Idee, dumme Gerüchte zu verbreiten, Herr Ottomy. Sie wissen ja, manche Menschen sind komisch in solchen Dingen. Aber nett, dass Sie vorbeigeschaut haben, und wenn Sie morgen auch in der Nähe sind, hab ich bestimmt eine Pastete für Sie übrig. Doch jetzt müssen Sie uns entschuldigen. Ich muss noch jede Menge Fleisch klein hacken.«
Er war im Nu verschwunden. Glenda schaute mit laut pochendem Herzen zu Juliet hinüber, deren Mund ein kreisrundes O bildete.
»Was ist? Was ist?«
»Ich hab gedacht, jetzt stichste’n ab!«
»Ich habe nur zufällig ein Messer in der Hand gehabt. Du ja auch. Hier hat man halt Messer in der Hand. Ist ja schließlich eine Küche, oder?«
»Meinst du, er sagt was?«
»Eigentlich weiß er überhaupt nichts.« Satte fünfzehn Zentimeter, dachte sie. So groß kann man eine Pastete ohne eine Form machen. Wie viele Pasteten könnte ich wohl aus einer Ratte wie Ottomy machen? Mit dem großen Fleischwolf geht das ganz leicht. Brustkorb und Schädel sind allerdings bestimmt problematisch. Wahrscheinlich ist es doch besser, wenn wir bei Schwein bleiben.
Schon sauste der Gedanke bis ganz weit nach hinten, um nie in die Wirklichkeit umgesetzt zu werden, aber es blieb doch ein ungewöhnlicher, aufregender und eigenartig befreiender Gedanke.
Was hatten die Zauberer bloß beim Spiel zu suchen? Und worüber hatten sie sich Notizen gemacht? Ziemlich rätselhaft, das Ganze.
Inzwischen befanden sich beide Frauen in einer Welt aus Pasteten. Wenn Juliet sich auf eine sich ständig wiederholende Aufgabe konzentrierte, konnte sie durchaus gut arbeiten, und sie verfügte über eine Genauigkeit, die man oft bei Leuten findet, die nicht besonders viel auf dem Kasten haben. Gelegentlich schniefte sie, was nicht sehr schön ist, wenn man gerade Pasteten füllt. Womöglich dachte sie an Trev und versetzte ihn in ihrem hübschen, aber nicht sonderlich beschäftigten Köpfchen in einen jener glitzernden Träume, wie sie in Ba-babbel und anderem Mist verkauft wurden, wo man, um berühmt zu werden, nichts anderes als »man selbst« sein musste. Ha! Wohingegen Glenda immer schon gewusst hatte, was sie wollte. Sie arbeitete viele, schlecht bezahlte Stunden, um es zu bekommen und – bitteschön: ihre eigene Küche und dazu mehr oder weniger Befehlsgewalt … über Pasteten! Noch vor einer Sekunde hast du dir vorgestellt, wie du einen Menschen zu Pasteten verarbeitest!
Warum bist du immer so wütend? Was ist schiefgelaufen? Ich kann dir sagen, was schiefgelaufen ist! Als du dort angekommen bist, gab es dort kein Dort. Du wolltest in einer offenen Kutsche
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