Der Coach
gespielt, und alle zehntausend Zuschauer haben Rake zugewinkt.«
»Das war schon ziemlich toll«, bestätigte Amos Kelso. »Rake wusste immer genau, was vor sich ging«, sagte Paul. »Rabbit rief ihn zweimal am Tag an und versorgte ihn mit dem neuesten Klatsch.«
»Hat er denn so zurückgezogen gelebt?«, fragte Neely. »Er blieb schon sehr für sich«, sagte Amos. »Zumindest die ersten drei oder vier Jahre. Es gab Gerüchte, dass er umziehen will, aber auf Gerüchte kann man hier nicht viel geben. Er ging zwar jeden Morgen zur Messe, doch das tun hier ja nicht so viele.«
»In den letzten paar Jahren hat er sich wieder öfter blicken lassen«, sagte Paul. »Er hat angefangen, Golf zu spielen.«
»War er verbittert?«
Die anderen dachten eine Weile über diese Frage nach. »Ja, war er«, meinte Randy schließlich.
»Glaube ich nicht«, sagte Paul. »Er hat sich Vorwürfe gemacht.«
»Es heißt, er soll neben Scotty beigesetzt werden«, sagte Amos.
»Das hab ich auch gehört.« Silo klang nachdenklich. Eine Autotür schlug zu, und jemand trat auf die Tartanbahn. Ein untersetzter Mann in Uniform umrundete das Spielfeld und näherte sich der Tribüne.
»Jetzt gibt’s Ärger«, murmelte Amos.
»Das ist Mal Brown«, sagte Silo leise.
»Unser ehrwürdiger Sheriff«, erklärte Paul Neely. »Die 31?«
»Genau der.«
Neelys Trikot mit der 19 war als Letztes aufgehängt worden, die 31 als Erstes. Mal Brown hatte Mitte der sechziger Jahre gespielt, während der Großen Serie.
Vierzig Kilo und fünfunddreißig Jahre früher war er ein aggressiver Tailback und einmal sogar vierundfünfzigmal im selben Spiel Ballträger gewesen, bis heute ein ungebrochener Rekord in Messina. Eine überstürzte Heirat setzte seiner College-Football-Karriere ein Ende, noch bevor sie überhaupt begonnen hatte, und eine überstürzte Scheidung führte ihn 1968 nach Vietnam, gerade rechtzeitig zur Tet-Offensive. Neely hatte in seiner Kindheit jede Menge Geschichten über den großen Mal Brown gehört. In Neelys erstem College-Jahr besuchte Coach Rake ihn vor einem Spiel und hielt ihm eine kleine Motivationsrede. Er beschrieb detailliert, wie Mal Brown einmal bei der Conference-Meisterschaft in der zweiten Halbzeit einen Zweihundert-Yard-Lauf absolviert hatte – mit gebrochenem Knöchel!
Rake erzählte gern Geschichten von Spielern, die trotz gebrochener Glieder, blutender Wunden oder aller möglichen anderen scheußlichen Verletzungen auf dem Spielfeld geblieben waren.
Jahre später erfuhr Neely, dass Mals gebrochener Knöchel höchstwahrscheinlich nur eine schwere Verstauchung gewesen war. Doch je mehr Zeit verging, desto farbiger wurde die Legende, zumindest in Rakes Erinnerung.
Der Sheriff ging an der vorderen Reihe der Tribüne entlang und sprach mit den anderen, die sich dort aufhielten. Dann kletterte er zur dreißigsten Reihe hinauf und blieb schließlich, ein wenig außer Atem, vor der Gruppe um Neely stehen. Er begrüßte Paul, dann Amos, Silo, Orley, Hubcap und Randy und nannte sie alle mit Vornamen oder Spitznamen. »Hab schon gehört, dass du hier bist«, sagte er schließlich zu Neely und schüttelte ihm die Hand. »Ist ganz schön lange her.«
»Stimmt.« Mehr brachte Neely nicht heraus. Er konnte sich nicht erinnern, Mal Brown je begegnet zu sein. Mal war erst Sheriff geworden, nachdem Neely Messina verlassen hatte. Neely kannte zwar die Legende, doch nicht den Menschen.
Aber egal. Sie gehörten derselben Bruderschaft an. »Es ist schon dunkel, Silo. Warum klaust du denn noch keine Autos?«, fragte Mal.
»Ist noch zu früh.«
»Irgendwann lass ich dich auffliegen, da musst du dir im Klaren drüber sein.«
»Ich hab gute Anwälte.«
»Gebt mir mal ’n Bier. Ich bin nicht im Dienst.« Silo reichte ihm eine Bierflasche, und Mal leerte sie in einem Zug. »Ich war gerade bei Rake«, sagte er dann und schnalzte dabei mit der Zunge, als hätte er tagelang nichts getrunken. »Unverändert. Alle warten drauf, dass es zu Ende geht.«
Der Bericht wurde schweigend aufgenommen. »Wo hast du dich denn die ganze Zeit versteckt?«, fragte Mal Neely.
»Nirgends.«
»Red keinen Unsinn. Du hast dich hier seit mindestens zehn Jahren nicht blicken lassen, vielleicht auch länger.«
»Meine Eltern sind nach Florida gezogen. Ich hatte keinen Grund herzukommen.«
»Du bist hier aufgewachsen. Du bist hier zu Hause. Ist das kein Grund?«
»Für dich vielleicht.«
»Was soll das heißen? Du hast hier jede Menge Freunde. Ist nicht
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