Der Coach
ungebändigtes Haar und stoppeliger Dreitagesflaum, die Augen in die Ferne gerichtet, wo sie künftigen Ruhm zu erblicken schienen.
»Warst ein niedliches Bürschchen damals«, sagte Paul.
»Manchmal kommt es mir wie gestern vor und dann wieder wie ein Traum.«
In der Mitte der Längswand befand sich eine Art Schrein für Eddie Rake. Ein großes Farbfoto zeigte ihn neben den Goalposts, und darunter hing eine Liste seiner Ergebnisse: vierhundertachtzehn Siege, zweiundsechzig Niederlagen, dreizehn Meistertitel.
Gerüchten vom frühen Morgen zufolge hielt Rake immer noch am Leben fest. Und die Stadt hielt noch an ihm fest. Man unterhielt sich nur leise: kein Gelächter, keine Witze, keine wilden Geschichten, keine der üblichen Kabbeleien über politische Fragen.
Eine zierliche Kellnerin, in Grün und Weiß gekleidet, brachte Kaffee und nahm die Bestellung auf. Sie kannte Paul, wusste aber nicht, wer sein Begleiter war.
»Gibt’s Maggie noch?«, fragte Neely.
»Ist im Altersheim«, erwiderte Paul.
Maggie Renfrow hatte jahrzehntelang kochend heißen Kaffee und fetttriefende Eier aufgetischt. Außerdem war sie ein schier unstillbarer Quell für Klatsch und Tratsch um die Spartans gewesen. Weil sie den Spielern Gratismahlzeiten serviert hatte, war ihr das gelungen, was sich in Messina alle wünschten: den Jungs und ihrem Coach ein wenig näher zu kommen.
Ein Mann trat an den Tisch und nickte Neely verlegen zu. »Ich wollte nur kurz Hallo sagen«, erklärte er und hielt ihm zögernd die rechte Hand hin. »Schön, Sie mal wiederzusehen, nach all den Jahren. Sie waren toll.«
Neely schüttelte ihm kurz die Hand und bedankte sich, dann wandte er den Blick ab. Der Mann verstand und zog sich zurück. Niemand folgte seinem Beispiel.
Die anderen warfen zwar verstohlene Blicke herüber oder starrten ihn kurz unverhohlen an, waren aber im Wesentlichen damit zufrieden, über ihrem Kaffee zu brüten und sich nicht um ihn zu kümmern. Schließlich hatte er sich in den letzten fünfzehn Jahren auch nicht um sie gekümmert. Messinas Helden waren öffentliches Eigentum, und man erwartete von ihnen, dass sie die nostalgischen Gefühle genossen.
»Wann hast du Screamer zum letzten Mal gesehen?«, fragte Paul.
Neely schnaubte und warf einen Blick aus dem Fenster. »Ich hab sie seit dem College nicht mehr gesehen.«
»Auch nichts von ihr gehört?«
»Vor Jahren kam mal ein Brief von irgendwo aus Hollywood, auf protzigem Briefpapier. Sie schrieb, sie würde die Stadt im Sturm erobern. Und viel berühmter werden, als ich es mir je hätte träumen lassen. Ziemlich miese Nummer. Ich habe nicht zurückgeschrieben.«
»Beim zehnjährigen Abschlussjubiläum ist sie aufgetaucht«, erzählte Paul. »Da hat sie die Schauspielerin gegeben, nur blonde Haare und lange Beine und Klamotten, wie man sie hier noch nie gesehen hat. Ziemlich aufwändiger Auftritt. Sie hat die ganze Zeit mit Namen um sich geschmissen, dieser Produzent, jener Regisseur, eine Hand voll Schauspieler, von denen ich noch nie was gehört hatte. Irgendwie hatte ich den Eindruck, sie verbringt mehr Zeit im Bett als vor der Kamera.«
»Klingt nach Screamer.«
»Du musst es wissen.«
»Wie wirkte sie so?«
»Ausgelaugt.«
»Und hat sie wirklich Filme gemacht?«
»Unmengen, und es wurden stündlich mehr. Anschließend haben wir verglichen, was sie uns erzählt hat. Niemand hatte auch nur einen Film gesehen, in dem sie mitspielt. War alles nur Show. Typisch Screamer eben. Allerdings heißt sie jetzt Tessa. Tessa Canyon.«
»Tessa Canyon?«
»Richtig.«
»Klingt nach Pornostar.«
»Ja, in diese Richtung schien sie unterwegs zu sein.«
»Die Arme.«
»Die Arme?«, wiederholte Paul. »Sie ist eine armselige, egozentrische Gans, deren einziges Anrecht auf Berühmtheit darin begründet liegt, dass sie mal mit Neely Crenshaw zusammen war.«
»Stimmt. Aber diese Beine!«
Beide lächelten eine Weile vor sich hin. Die Kellnerin brachte Pfannkuchen und Würstchen und schenkte ihnen Kaffee nach. Paul verteilte reichlich Ahornsirup auf seinem Teller und fuhr dann fort: »Vor zwei Jahren war ich auf einer Banker-Tagung in Las Vegas. Mona war mit dabei. Sie hat sich aber gelangweilt und ist aufs Hotelzimmer gegangen. Dann wurde mir auch langweilig, und so hab ich spätabends einen Spaziergang über den Sunset Strip gemacht. Ich bin in eins der alten Kasinos gegangen, und rate mal, wen ich da sehe.«
»Tessa Canyon.«
»Tessa mixte Drinks. Sie war Bardame, in einem dieser
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