Der Code des Luzifer
Es war auch Fell, wurde Max klar, allerdings kurz geschoren bis auf die gerunzelte Haut. Max beherrschte sich und ließ sich nichts anmerken.
Ein Bewaffneter stand breitbeinig über dem Hai. Max hatte seit Stunden nicht mehr den Himmel gesehen, doch hier, in gut dreitausend Metern Höhe, konnte er durch ein großes, in den Fels gehauenes Fenster den samtblauen Himmel betrachten, bestreut mit glitzernden Sternen. Man hätte fast die Hand hinausstrecken und sich ein paar pflücken können. Aber was Max jetzt weit mehr interessierte, war die Wolkendecke ungefähr tausend Meter weiter unterhalb. Von unten gesehen würde sie schwarz den Nachthimmel überziehen, aber von hier oben sah man ihre wirbelnden Bewegungen in den wechselnden Luftströmungen und die Blitze, die in alle Richtungen durch sie hindurchzuckten.
Tischenko bemerkte mit Genugtuung die Faszination des Jungen.
»Das ist bloß ein kleines Feuerwerk verglichen mit dem apokalyptischen Ereignis, das in wenigen Stunden stattfinden wird. Mein Name ist Fedir Tischenko. Wo ist Zabalas Stein?« Er warf Max den nutzlosen Anhänger zu.
Der Hai, erkannte Max, hatte sich seine Schwierigkeiten selbst eingebrockt.
»Wo ist mein Freund?«, fragte Max zurück und hoffte, überzeugend zu bluffen.
»Der ist tot.«
Ausgeschlossen. Das glaubte Max erst, wenn er Sayids Leiche mit eigenen Augen sah. Dieses Monster wollte ihm bloßAngst einjagen. Max ließ sich seine Gefühle nicht anmerken. »Das ist aber schade, denn er hatte den Stein.«
»Oh, mutiger Versuch, kleiner Mister Gordon. Du hast mich jetzt lange genug in meinen Plänen gestört. Wir haben den Jungen durchsucht, er hatte nichts bei sich. Du hingegen bist eine Gefahr, die ich nicht mit einkalkulieren konnte. Du hast ihn. Du musst ihn haben. Du bist doch nur hier, um mich aufzuhalten, stimmt’s? Aber das wird dir nicht gelingen.«
»Ich bin wegen meines Freundes hier.«
»Aber bis vor wenigen Stunden wusstest du noch gar nicht, dass er hier ist. Wer hat dir das gesagt?«
»Niemand«, log Max. Er sah den Hai an. »Ich habe gesehen, wie Ihr Gangster hier Peaches umgebracht hat.«
»Warum überrascht mich das jetzt gar nicht? Skrupellosigkeit und Ehrgeiz können Menschen ganz schön verändern. Und weiter?«
»Ich bin ihm hierher gefolgt.«
»Lügner! Mir ist niemand gefolgt, das kann ich beschwören!«, schrie der Hai verzweifelt.
Max lächelte. »Du armer Irrer. Dir hätte ich mit geschlossenen Augen in dunkler Nacht folgen können. Du hast mich direkt hierher geführt. Ich habe Bobby Morrells Bus gefunden, und darin hat mein Freund einen Hinweis für mich hinterlassen.«
Max sah sich um, prägte sich so viel ein, wie er konnte. Ringsum waren im ganzen Raum große Bildschirme angebracht. Satellitenbilder aus dem Weltall. Stürme, die sich über dem Atlantik zusammenbrauten. Kaltwetterfronten mit niedrigem Luftdruck, die sich über Europa ausbreiteten, und ein kreisender Wolkenwirbel, der sich auf die Alpen zubewegte. Das war der erwartete Monstersturm. Nur noch Stunden entfernt.
Max spannte seine Bauchmuskeln an und sah dem entstellten Mann voll ins Gesicht.
»Ihre Leute sind sehr nachlässig, richtig schlampig. Falls Sie vorhaben, die Welt zu regieren, oder irgendeinen anderen Wahnsinn planen, sollten Sie meines Erachtens Ihr Personal sorgfältiger aussuchen.«
Ein verblüfftes Schweigen entstand nach diesen Worten. Und dann tat Fedir Tischenko etwas, das er, soweit er sich erinnerte, noch nie im Leben getan hatte – er lachte.
»Na schön, mutig bist du. Und du bist nicht zusammengezuckt, als du mein Gesicht gesehen hast. Komm, ich zeig dir was.« Er hob den Zeigefinger und winkte Max zu sich.
Max ging weiter in den Raum hinein. Eine große geologische Europakarte füllte die Wand aus. Er hatte keine Mühe, seinen Standort zu identifizieren. Rote Äderchen liefen kreuz und quer über die Karte.
»Weißt du, was das ist? Diese Linien hier, meine ich«, sagte Tischenko.
Max wusste es nicht, aber es war ja nicht schwer zu erraten. »Erdströme«, sagte er.
»Sehr gut«, sagte Tischenko. »Schau mal.«
Er drückte einen Knopf, und in der Ecke erschien eine elektronische Uhr, an der die Stunden und Minuten im schnellen Vorlauf angezeigt wurden. Der vorausberechnete Sturm hatte sein Zentrum über dem Genfer See, und an der Zitadelle erschien das Bild eines gewaltigen Blitzes – ein Stab aus goldenem Licht bohrte sich in den dreidimensional dargestellten Berg hinein, eine Schockwelle pflanzte sich
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