Der Code des Luzifer
Die Jüngere sprach weiter: »Ich stamme aus dem französischen Baskenland. Das ist meine Sprache. Du kannst Baskisch?«
»Nein«, sagte Max. »Was heißt es denn?«
Die beiden Frauen tauschten ein paar Sätze auf Französisch aus, so schnell, dass Max nichts verstand. Dann zuckte die Jüngere mit den Schultern.
»Es bedeutet wörtlich: Vertraue niemandem – sie werden dich töten.«
Im Krankenhaus war man gründlich. Man hatte Max geröntgt, gescannt, untersucht, gesäubert und bei alldem außer ein paar geprellten Rippen und den Nachwirkungen der Kälte nichts feststellen können. Er hatte die Gefahr mit viel Glück unbeschadet überlebt, dennoch bestand man darauf, dass er über Nacht bleiben sollte. Übrigens war es Bobby Morrell gewesen, der Alarm geschlagen hatte. Max hatte ihm gesagt, dass er noch einmal in die Berge wolle, und als dann das Donnern der Lawine im Tal zu hören war, hatte Bobby sofort die Pistenpatrouille alarmiert.
Die üblichen Fragen der Ärzte mussten beantwortet werden. Wo waren seine Eltern? Hatte er jetzt Schulferien? Wie lange wollte er in den Pyrenäen bleiben? Wo wohnte er? Wie viel Geld hatte er?
Max erklärte alles, und jemand meinte, man solle seinen Vater informieren. Dann ließen sie ihn in Ruhe. Er blieb eineStunde oder länger liegen und ließ vor seinem inneren Auge immer wieder dieselben Bilder ablaufen.
Wie war er da nur hineingeraten? Erst Sophie und dann der Mönch. Kaum war er diesen beiden so verschiedenen Menschen begegnet, war er jedes Mal in Attacken von Männern verwickelt worden, die die gleiche schwarz-weiße Tarnkleidung trugen. Eigentlich müsste er damit zur Polizei gehen. Wie würde sein Dad sich verhalten? Er würde gründlich nachdenken und dann selbst entscheiden, was zu tun war – und dann würde er es tun.
Manchmal gerät man in Situationen, mit denen man nur allein fertig werden kann, Max.
»Wo sind meine Sachen?«, fragte Max die junge Schwester, als sie wieder einmal kam, um seine Temperatur zu messen.
Sie machte den kleinen Schrank auf, in dem seine Kleider hingen. Dann nahm sie aus einer Schublade einen verschlossenen braunen Umschlag. Darin befanden sich sein blaues Portmonee mit Klettverschluss und sein grünes Moldavit-Armband. Die Uhr seines Vaters fehlte, und die Schrammen an Max’ Handgelenk bestätigten, dass die schrecklichen Ereignisse kein Traum gewesen waren. Ein dumpfer Schmerz, Trauer über den Verlust der Uhr, lenkte ihn vorübergehend von dem Albtraum ab, dem er gerade erst entkommen war. Tut mir leid, Dad, dachte er.
Außer Sayids Mis baha besaß er noch die beiden Gegenstände, die der Mönch sich vom Hals gerissen und Max zugeworfen hatte, kurz bevor er gestorben war. Da war erstens ein Rosenkranz – das Kreuz war noch dran, aber die meisten Perlen fehlten –, zweitens eine Lederschnur, die durch eine flache Messingscheibe von der Größe eines Zehn-Pence-Stücks gezogenwar. Vier Speichen innerhalb dieses Rings hielten einen kleinen runden Kristall in der Mitte.
Max befühlte den Anhänger und barg ihn in seiner Hand. Der sterbende Mann hatte ihm das unbedingt geben wollen, und plötzlich empfand Max eine große Verantwortung. Er mochte seinen größten Schatz, die Uhr seines Vaters, verloren haben, aber dieser Anhänger hatte dem sterbenden Mönch so viel bedeutet, dass er ihn dem Jungen, der ihm das Leben retten wollte, anvertraut hatte. Und Vertrauen war eine gewaltige Verpflichtung, hatte sein Vater ihm oft erklärt.
Wenn nur sein Dad jetzt hier wäre. Dann wäre es sehr viel einfacher, die richtige Entscheidung zu treffen. Vielleicht sollte er ihn anrufen und ihm von den letzten verzweifelten Augenblicken im Leben dieses Mönchs erzählen. Aber sein Vater war in London, wo er sich von den in Afrika erlittenen Torturen erholte, und konnte sich immer noch nicht an alles erinnern. Die Ärzte glaubten, er mache langsame Fortschritte, und da sein Dad für eine internationale Agentur arbeitete, die der Regierung bei der Aufdeckung großer Umweltskandale half, hatte man ihn in ein privates Sanatorium gebracht, wo er bestens versorgt wurde. Max durfte ihn mit diesen Dingen nicht belasten. Und falls die Polizei tatsächlich das Sanatorium in England anrufen und von Max’ Unfall unterrichten wollte, würde ohnehin jemand anders das Telefonat entgegennehmen. Damit gewann er etwas Zeit.
»Was ist das für ein Anhänger?«, unterbrach die Schwester seine Gedanken.
»Nichts Besonderes«, antwortete Max.
Aber er
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