Der Code des Luzifer
in seinem gut gefüllten Magen. Wer wusste schon, auf was sie sich da einließen.
»Können wir das später besprechen?«, fragte er, um erst einmal Zeit zu gewinnen.
»Okay«, sagte Max, schon zufrieden damit, dass Sayid bereit war, noch eine Weile zu bleiben. »Am Ende des Gangs ist ein Bibliothekszimmer. Vielleicht kannst du bei Gelegenheit mal nachsehen, ob es dort Bücher über alte Abteien hier in der Gegend gibt. Ich möchte nicht, dass mich dort jemand sieht und unangenehme Fragen stellt.«
Sayid nickte lächelnd. In Büchern stöbern war nicht gefährlich. Das war zu schaffen.
Max wies mit dem Kopf in Sophies Richtung. »Was hältst du von ihr?«, fragte er, bevor er ein Glas frischen Orangensaft austrank.
»Sophie? Keine Ahnung. Was hatte sie da oben überhaupt zu suchen?«
»Weiß ich nicht. Warten wir’s ab.«
Max zweifelte immer noch, ob er Sophie trauen konnte. Hoffentlich irrte er sich und sie hatte nicht so viel mit Zabalas Tod zu tun, wie er befürchtete. Aber er hatte nun mal etwas gegen auffällig viele Zufälle.
Geirrt hatte er sich jedenfalls, was die Hexe betraf, die ihm gestern Nacht die Kehle durchschneiden wollte. Komtess Isadora Villeneuve war eine zierliche kleine Frau. Nur das Mondlicht hatte sie so hässlich erscheinen lassen. Ihre fein geschnittenen Züge, die markanten Wangenknochen und die smaragdgrünen Augen ließen erkennen, dass sie in jüngeren Jahren eine sehr schöne Frau gewesen sein musste. Jetzt sah die runzlige, von der Sonne gegerbte Haut aus wie altes Leder, derb wie der Riemen, mit dem sie ihr Haar im Nacken zusammengebunden hatte. Auch heute trug sie einen Kaftan, aber dieser war mit schillernd bunten Fäden durchwirkt. Sie hatte Arthritis, wie man an den geschwollenen Gelenken ihrer knochigen Finger sehen konnte, und sie rauchte. Auch nicht grade gut für ihre Haut, dachte Max, als sie ins Zimmer kam. Sie ließ sich von Bobby, ihrem Enkel, einen Teller geben und fragte, ob Sophie genug gegessen habe, dann wandte sie sich Max zu.
Max wurde sehr verlegen.
»Ich muss mich für gestern Abend bei dir entschuldigen, junger Mann«, sagte sie und trat zu ihm. »Ich besitze nichtsmehr, was ich meinen Gläubigern noch geben könnte. Die haben mein Haus geplündert und mir mein Land weggenommen. Ich habe dich für einen von diesen Leuten gehalten, die manchmal hier herumschleichen und einer alten Dame Angst zu machen versuchen.«
»Ich bin es, der sich zu entschuldigen hat«, bekam Max schließlich heraus, sehr um höfliches Benehmen bemüht. »Ich wollte Ihnen keine Angst einjagen.«
Sie lächelte. Ein Rest ihrer ehemaligen Schönheit schimmerte auf. »Ich denke, Angst hatte gestern jemand anderes. N’est-ce pas?«
Sie sagte das, wenngleich spöttisch, in einem so freundlichen Ton, dass Max ihr Lächeln nur erwidern konnte. »Ich hatte furchtbare Angst«, gab er zu.
Sie hielt den Kopf schief und sah nach dem Abdruck des Küchenmessers, das sie ihm an die Kehle gesetzt hatte. »Habe ich dir wehgetan?«
»Nein. Nur ein bisschen. Wie ein Wespenstich. Ist schon wieder gut. Wirklich.«
Sie betrachtete ihn kurz. »Nach dem, was mein Enkel mir erzählt hat, bist du nicht so leicht zu erschrecken. Das gefällt mir an einem Jungen. Robert«, sagte sie und sah zu Bobby hinüber, der mit den Beinen über der Sofalehne hing wie eine alte Stoffpuppe, »ist mutig, wenn es um das Meer und die Berge geht, während du eine ganz andere Art von Mut hast, denke ich.« Ihr Lächeln verschwand. Max war das alles peinlich. »Und du hast eine dunkle Seite. Habe ich Recht? Verstehst du, ich kann das sehen. In deinen Augen. Es ist immer in den Augen. Robert ist anders. Aber du …«
Ihr Lächeln kehrte zurück. »Greif ruhig zu. Wenn es darum geht, meinen Enkel und seine Freunde durchzufüttern, ist immergenug Geld im Haus.« Sie lachte. »Du glaubst doch nicht, dass ich wirklich arm bin?«
Sie entschwebte – so jedenfalls kam es Max vor, als er sie über die Holzdielen und Läufer davongleiten sah.
Bobby, unrasiert und anscheinend noch gar nicht richtig wach, reckte sich über den Tisch und nahm noch ein Brötchen. »Heute Morgen ist die Alte ganz gut beieinander. Manchmal hat sie, na ja, Erscheinungen. Dann sieht sie Gespenster und so was.«
»Geister?«, fragte Sayid leise.
»Ja. Nachts wandert sie durchs Haus und sieht nach, ob sie alle ruhig sind. Angeblich sind das ihre toten Freunde. Und Opa.«
»Du meinst, sie ist verrückt?«, fragte Max.
»Ich meine, sie trinkt die
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