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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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streichelte ihm die Wange. Tom schaute zu ihr auf. Nun erinnerte er sich an alles. Sally beugte sich über ihn und gab ihm einen Kuss. »Wir haben noch immer einen weiten Weg vor uns, bevor alles vorbei ist.«
    »Ja.«
    »Gehen wir also schrittweise vor.«
    Tom nickte. Sie reichte ihm eine Portion Schildkrötensu p pe. Tom verzehrte sie, dann fiel er in einen gesunden Schlaf. Als er das nächste Mal erwachte, war der Kop f schmerz weg. Er konnte die Hängematte verlassen und trat leicht wankend ins Freie. Seine Beine fühlten sich wie Gummi an. Sie befanden sich auf der alten Lichtung mit dem umgekippten Baum, doch das nasskalte Dickicht hatte sich in ein vergnügtes offenes Lager verwandelt. Ausg e rupfte Farne bedeckten den schlammigen Boden und bild e ten einen angenehm federnden Teppich. Tom erblickte zwei ordentliche Unterstände aus Palmwedeln und ein Lage r feuer mit Baumstämmen, auf denen man sitzen konnte. Sonnenlicht strömte zwischen den Wipfeln hindurch. Die Sierra Azul schaute in dunklem Violett vor dem blauen Himmel durch die Lücke. Sally saß am Feuer, und als Tom ins Freie trat, sprang sie auf, nahm ihn am Arm und half ihm, sich hinzusetzen.
    »Wie spät ist es?«
    »Zehn Uhr morgens«, sagte Sally.
    »Wie geht's Philip?«
    »Er liegt in der Hängematte. Er ist zwar noch schwach, aber er wird gesund. Vernon schläft gerade das letzte St a dium des Fiebers aus. Nimm noch von dem Eintopf. Bor a bay hat gesagt, wir sollen so viel essen, wie wir nur kö n nen.«
    »Wo ist dieser geheimnisvolle Borabay?«
    »Auf der Jagd.«
    Tom aß noch etwas Schildkrötenfleisch. Über dem Feuer blubberte ein großer Topf, der nicht nur mit Fleischbrocken, sondern auch mit vielen eigenartigen Wurzeln und Gemüse gefüllt war. Als er fertig war, machte er sich zum anderen Unterstand auf, um nach Philip zu sehen. Er zog die Tür aus Palmwedeln auf, duckte sich und trat ein.
    Philip lag rauchend in einer Hängematte. Er war zwar noch immer erschreckend dünn, aber seine Wunden hatten Schorf gebildet und seine Augen lagen nicht mehr so tief in den Höhlen.
    »Freut mich, dass du wieder auf den Beinen bist, Tom«, sagte er.
    »Wie geht's dir?«
    »Bin zwar noch ein bisschen schwach in den Knien, aber sonst so fit wie ein Turnschuh. Ich fühle mich fast gesund. In ein, zwei Tagen kann ich wieder laufen.«
    »Hast du diesen Borabay schon gesehen?«
    »Oh, ja. Ein irrer Typ, voll angemalt. Hat kleine Scheiben in den Ohrläppchen, ist tätowiert, das ganze Programm. Sally wollte ihn schon zur Seligsprechung nominieren, aber ich bezweifle, dass er katholisch ist.«
    »Du wirkst wie ein neuer Mensch, Philip.«
    »Du auch, Tom.«
    Verlegenes Schweigen machte sich breit, das ein Ruf von draußen unterbrach: »Hallo, Brüder!«
    »Ah, Borabay ist wieder da«, sagte Philip.
    Tom huschte aus dem Unterstand und sah einen erstaunlichen kleinen Indianer über die Wiese kommen. Sein Obe r körper und sein Gesicht waren rot angemalt. Schwarze Kreise umgaben seine Augen; wilde Streifen liefen ihm quer über den Brustkorb. Federn raschelten an Bändern an seinen Oberarmen, und er war bis auf einen Lendenschurz nackt. Zwei riesige Stöpsel steckten in seinen lang gezog e nen Ohrläppchen, die bei jedem Schritt wippten. Ein ko m pliziertes Narbenmuster verlief über seinen Bauch. Seine Vorderzähne waren spitz zugefeilt, er hatte stumpf abg e schnittenes schwarzes Haar, und seine Augen waren von einem sehr ungewöhnlichen Haselnussbraun, fast grün. Sein Gesicht war überraschend schön und fein geschnitten, seine Haut glatt und wie gemeißelt.
    Er blieb würdevoll am Feuer stehen. In der einen Hand hielt er ein zwei Meter langes Blasrohr, in der anderen den Kadaver eines Tieres unbekannter Spezies.
    »Ich Fleisch bringen, Bruder«, sagte Borabay grinsend auf Englisch. Er ließ seine Beute zu Boden fallen, kam zu Tom herüber, umarmte ihn zweimal und küsste ihn auf beide Wangen. Es war wohl irgendein indianischer Ritualgruß. Dann trat er zurück und legte eine Hand auf seinen Brus t korb. »Mein Name Borabay, Bruder.«
    »Ich bin Tom.«
    »Ich Jane«, sagte Sally.
    Borabay drehte sich um. »Jane? Du nicht Sally?«
    Sally lachte. »Das war ein Witzchen.«
    »Du, ich, ihm, wir Brüder.« Borabay umarmte Tom noch einige Male und küsste ihn seitlich auf den Hals.
    »Danke, dass du uns das Leben gerettet hast«, sagte Tom. Er hatte es kaum ausgesprochen, als ihm auffiel, wie schwach er klang. Aber Borabay wirkte erfreut.
    »Danki. Danki. Du

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