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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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Er schaute nach vorn. Seine Brüder waren kaum mehr als im Dunst huschende, ins wechselnde Halblicht des hinter ihnen leuchtenden Scheinwerfers getauchte Schemen.
    Je weiter sie sich vorwagten, desto mehr schaukelte und schwankte die Brücke. Der Bambus knackte, die Taue ächzten und seufzten, als wären sie lebendig. In der Mitte nahmen die Windströmungen zu, wehten nach oben und schüttelten sie durch. Hin und wieder ließ eine heftige Bö die Brücke erzittern und auf beängstigende Weise rucken. Tom dachte spontan an Don Alfonsos Geschichte über die bodenlose Schlucht, in der die Abgestürzten sich endlos um ihre Achse drehten, bis sich das Fleisch von ihnen löste und ihre Knochen zu Staub zerfielen. Es schüttelte ihn, und er versuchte, jeden Blick nach unten zu vermeiden, doch um die Füße an die richtige Stelle zu setzen, war er gezwungen, in die Schwindel erregende Tiefe zu schauen, aus deren bodenloser Finsternis die Dunstschwaden aufstiegen. Sie hatten die Mitte fast erreicht. Tom sah die Stelle, an der die Brücke den tiefsten Punkt ihrer Krü m mung erreichte; von da stieg sie langsam wieder an, um auf der anderen Seite der Schlucht zu enden.
    Eine außergewöhnlich heftige Bö wogte zu ihnen hoch und ließ die Brücke plöt z lich schaukeln. Tom packte fester zu und wäre beinahe abgerutscht. Dann hörte er einen g e dämpften Schrei und sah zwei verfaulte Seilenden, die sich heftig im Aufwind drehten, vor ihm in die Schlucht stü r zen. Philip baumelte plötzlich im Nichts; sein Ellbogen war um das Tau geschlungen. Seine Beine drehten sich in der Leere.
    Oh, mein Gott, dachte Tom. Er eilte weiter und wäre um ein Haar selbst abgerutscht. Sein Bruder hatte keine Cha n ce, sich längere Zeit so festzuhalten. Tom erreichte die Ste l le, die genau über Philip lag. Philip baumelte schweigend in der Luft und versuchte, ein Bein nach oben zu schwi n gen. Sein Gesicht war verzerrt. Er brachte vor Entsetzen kein Wort hervor. Vernon und Borabay waren vor ihnen bereits im Dunst verschwunden.
    Tom ging in die Knie. Er schlang einen Arm um das senkrechte Seil und versuchte, den anderen unter Philips Arm zu schieben. Plötzlich rutschten ihm seine Füße d a von, und auch er baumelte kurz über dem Abgrund. Es gelang ihm, sich wieder au f zurichten. Sein Herz hämmerte in seiner Brust. Sein Blick umwölkte sich vor Entse t zen. Er konnte kaum atmen.
    »Tom«, würgte Philip. Seine Stimme war so schrill wie die eines Kindes.
    Tom machte sich über Philip auf dem Tau klein. »Schwing dich nach oben«, sagte er mit ruhiger Stimme. »Du musst mir helfen. Schwing dich hoch. Ich pack dich dann.« Er griff mit einem Arm nach unten und machte sich bereit, Philips Gürtel zu ergreifen.
    Philip unternahm einen erneuten Versuch, sich nach oben zu schwingen und das Tau mit den Füßen zu umklammern, aber er bekam nicht genug Schwungkraft, und sein Bem ü hen führte nur dazu, dass er weiter abrutschte. Er stieß e i nen kurzen Schrei aus, und Tom sah, wie die weißen Handknöchel seines Bruders das Tau eisenhart umkla m mert hielten. Ein schriller, von Entsetzen kündender Laut drang aus Philips Kehle.
    »Probier's noch mal«, rief Tom. »Schwing dich hoch! Hoch!«
    Philips Gesicht verzerrte sich, als er der Anweisung fol g te. Tom versuchte, seinen Gürtel zu fassen zu kriegen, doch sein Fuß rutschte erneut ab. Einen entsetzlichen Augenblick lang baumelte sein Bein in der Leere, und er klammerte sich an ein ve r gammeltes Seil. Dann zog er sich wieder hoch und versuchte, sein wild schlagendes Herz zu beruhigen. Ein Bambusstück, das sich durch ihre Aktionen gelöst hatte, stürzte sich langsam drehend in die Tiefe, bis es aus seinem Blickfeld verschwunden war.
    Er hat vielleicht noch fünf Sekunden, dachte Tom. Philip ha t te nur noch eine Chance. »Schwing dich hoch. Fahr vollen Einsatz - selbst wenn du dabei loslassen musst. Mach schon! Eins, zwei, drei!«
    Philip schwang sich nach oben. Diesmal griff Tom zu. Er klammerte sich mit dem anderen Arm an das verrottete Seil, damit er sich weit genug vorbeugen konnte, um Phi l ips Gürtel zu fassen zu kriegen. Einen Augenblick lang b e fanden sie sich beide in der Schwebe. Das Seil trug den Hauptteil ihres gemeinsamen Gewichts. Dann zog Tom Philip mit einer gewaltigen Anstrengung hinauf, sodass er auf das Tau sank und es wie einen Rettungsring umkla m merte.
    Sie verharrten, hielten sich an den Seilen fest. Beide waren zu entsetzt, um etwas zu sagen. Tom hörte Philip

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