Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
Vom Netzwerk:
eine Mauer. Borabay schirmte die Fackel ab, damit man das Licht nicht sah. An der anderen Seite führte eine Treppe hinab. In den Bäumen war plötzlich B e wegung und Geschrei. Die Wipfel ruckten und knackten. Tom fuhr zusammen.
    »Kleine Affen«, sagte Borabay leise. Er verharrte und setzte eine besorgte Miene auf. Schließlich schüttelte er den Kopf, und sie setzten den Weg fort. Sie kletterten über zahlreiche umgefallene Säulen und gelangten in einen Innenhof voller umg e stürzter Steinblöcke. Einige wiesen drei Meter Länge auf. Es waren Bestandteile eines riesigen Kopfes. Tom entdeckte eine Nase und ein, zwei stierende Augen, die aus dem Vegetationsgewirr und den sich dahinschlä n gelnden Baumwurzeln aufragten. Sie kletterten über die Blöcke hinweg und gingen durch einen von steinernen J a guaren bewachten Torbogen in eine Art Durchgang. Die ihnen dort entgegenschlagende Luft war kühl und roch nach Schimmel. Die Fackel flackerte. Die Flamme ließ die steinernen Wände eines Tunnels sehen. Die Wände waren von Kalk verkrustet, die Decke war voller Stalaktiten. I n sekten flitzten raschelnd über feuchte Wände, um Deckung vor dem Licht zu suchen. Eine dicke Viper rollte sich z u sammen und hob den Kopf, als wolle sie angreifen. Sie schaukelte zischend hin und her, ihre Schlitzaugen refle k tierten das gelbrote Licht der Flamme. Sie wichen ihr aus und gingen weiter. Durch die eingestürzte Decke sah Tom zwischen den sich leise im Wind wi e genden Baumwipfeln zahlreiche Sterne. Sie kamen an einem alten Steinaltar vo r bei, auf dem Gebeine lagen, verließen den Tunnel und e r reichten eine Plattform voller zerbrochener Statuen. Köpfe und Gliedmaßen ragten wie eine in einem Meer von Kle t terpflanzen ertrunkene Schar von Ungeheuern aus dem Lianengewirr.
    Dann standen sie am Rand eines tiefen Abgrundes. Sie hatten die andere Seite des Plateaus erreicht. Hinter dem Abgrund breitete sich ein Meer gezackter Berggipfel aus. Das Licht der Sterne erhellte sie nur schwach. Borabay hielt an, um eine neue Fackel anzuzünden. Er warf die abg e brannte über den Klippenrand, und sie flackerte kurz auf, um dann in der schwarzen Tiefe zu verschwinden. Dann geleitete er sie über einen am Abgrund entlangführenden Pfad und durch eine gut getarnte Lücke im Gestein. Sie schien über die kahle Klippe zu führen, doch als diese Lü c ke hinter ihnen lag, tauchte vor ihnen ein in den Fels g e hauener Weg auf, der sich als Treppe entpuppte. Sie führte serpentinenförmig an der Klippe entlang nach unten und end e te an einer wie gefliest wirkenden Terrasse - einer Art ins Gestein geschlagenem Balkon, der durch eine Unterhö h lung entstanden und von oben nicht sichtbar war. Auf der einen Seite ragten die gezackten Felsen der Mesa der We i ßen Stadt auf. Auf der anderen Seite befand sich ein steiler, viele hundert Meter tiefer Abgrund. In den Felsen über i h nen waren Hunderte von schwarzen Türen erkennbar, die durch steile Pfade und Treppen miteinander verbunden waren.
    »Grabstätten«, sagte Borabay.
    Leiser Wind umfächelte sie. Er brachte den süßsauren Duft irgendwelcher in der Nacht blühender Blumen mit. Hier waren die Geräusche des über ihnen liegenden Dschungels nicht hörbar - man vernahm nur das Auf und Ab des Windes. Welch ein unheimlicher, gespenstischer Ort.
    Mein Gott, dachte Tom. Wenn ich mir vorstelle, dass Vater irgendwo da oben in den Kli p pen ist...
    Borabay ging ihnen durch einen finsteren Eingang im Gestein voran, dann stiegen sie eine in die Felsen gehauene Wendeltreppe hinunter. Die Felswand war voller Gra b kammern. Die Treppe führte an offenen Nischen vorbei, in denen Gebeine, ein leicht behaarter Schädel, dürre Hände mit blitzenden Ringen und mumifizierte Leichen lagen. Vom Licht erschreckte Insekten, Mäuse und kleine Schla n gen wichen in die Dunkelheit zurück. In mehreren Nischen, an denen sie vorbeikamen, lagen frische, Verwesungsg e ruch ausströmende Leichen. Dort war das Geraschel der Tiere und Insekten noch lauter. Sie kamen auch an einem Toten vorbei, auf dem einige fressende Ratten hockten.
    »Wie viele dieser Gräber hat Vater ausgeplündert?«, fra g te Philip.
    »Nur eines«, erwiderte Borabay, »aber voll mit Schätzen.«
    Einige Grabkammertüren waren eingeschlagen, als hätten Räuber sie aufgebrochen oder Erdbeben sie vor Unzeiten aus den Angeln gerissen. Einmal blieb Borabay st e hen und hob etwas vom Boden auf. Ohne ein Wort reichte er es Tom. Es war eine glänzende

Weitere Kostenlose Bücher