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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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auf die abschreibbare Forschung und Entwicklung zu verlagern. Als die Aktienkurse weiter gestiegen waren, hatten die Analysten noch immer nichts bemerkt. Dann hatten sie Briefkastenfirmen auf den Ca y man-Inseln und den Niederländischen Antillen Verluste zugewiesen, Kredite als Gewinne verbucht und alles vo r handene Bargeld dazu verwendet, Firmenaktien zurückzukaufen, um den Preis noch weiter hinaufzutreiben -und (natürlich) den Wert der ausführbaren Aktienoptionen aufzublähen. Die Aktien hatten einen wahren Höhenflug vollführt. Sie hatten Millionen gescheffelt. Gott, was für ein berauschendes Spiel! Sie hatten jedes Gesetz, jede Regel und sämtliche Strafgesetze gebrochen. Ihr schöpferisches Genie von einem Chefbuchhalter hatte sogar neue erfu n den, um sie zu brechen. Und alle selbstherrlichen Aktienl a vierer hatten sich als ungefähr so wahrnehmungsfähig e r wiesen wie Yogi Bär. He, ich mach jetzt jede Minute 'nen Do l lah!
    Und jetzt waren sie ganz unten. Es gab keine Regeln mehr, die man beugen oder brechen konnte. Der Markt war en d lich aufgewacht. Der Aktienkurs war in den Keller g e kracht. Jetzt hatten sie keine Tricks mehr im Ärmel. Die Aasgeier kreisten schon über dem Lampe Building in der Avenue of the Americas Nr. 725 und krähten Skibas N a men.
    Eine zitternde Hand schob den Schlüssel ins Schloss. Die Schublade glitt auf. Skiba schluckte noch eine bittere Pille und nahm einen weiteren Zug von seinem Scotch.
    Dann ertönte ein Summen und kündigte Graff an.
    Graff, das Buchhaltungsgenie, der sie in diese Lage gebracht hatte.
    Skiba spülte sich den Mund mit einem Schluck Evian aus, dann nahm er noch einen Zug. Und noch einen. Er fuhr sich mit der Hand übers Haar, lehnte sich in den Sessel zurück und riss sich zusammen. Schon spürte er die schleichende Leichtigkeit des Seins, das in seinem Brustkorb anfing und bis in die Fingerspitzen verlief. Es hielt ihn aufrecht, erfüllte ihn mit einem goldenen Leuchten.
    Skiba drehte sich in seinem Sessel. Sein Blick fiel kurz auf die Fotos seiner klugen Kleinen, die ihn aus silbernen Rahmen heraus anlächelten. Dann ließ sein Blick zögernd vom Schreibtisch ab und blieb auf dem Gesicht von Mike Graff haften, des Finanzchefs, der den Raum gerade betreten ha t te. Graff blieb vor Skiba stehen. Er wirkte eigenartig fei n gliedrig und war von Kopf bis Fuß in makelloses Kam m garn, in Seide und Baumwolle gekleidet. Graff war Skibas aufstrebender junger Protege gewesen. Man hatte ihn in Forbes porträtiert. Analysten und Investment-Banker hatten ihn hofiert. Bon Appetit hatte über seinen Weinkeller g e schrieben; sein Haus hatte man im Architectural Digest vo r gestellt. Nun strebte sein Protektionskind nicht mehr nach oben: Er hielt mit Skiba Händchen; sie machten gemeinsam einen Kopfsprung in die Tiefen des Grand Canyon.
    »Was ist, Mike?«, fragte Skiba freundlich. »Was ist so wichtig, dass es nicht bis zur Nachmittagskonferenz Zeit hat?«
    »Draußen wartet ein Bursche, den du kennen lernen musst. Er hat uns einen interessanten Vorschlag zu unte r breiten.«
    Skiba schloss die Augen. Er fühlte sich plötzlich todmüde. Das gute Gefühl war wie weggeblasen. »Findest du nicht, dass du uns schon genug Vorschläge gemacht hast, Mike?«
    »Der hier ist anders. Vertrau mir.«
    Vertrau mir. Skiba schwenkte in einer sinnlosen Geste die Hand. Er hörte, dass die Tür aufging, und hob den Kopf. Der Mann, der gleich darauf vor ihm stand, war ein billiger kleiner Gauner in einem Anzug mit breiten Aufschlägen, ein Typ, der eindeutig zu viel Gold mit sich herumschlep p te. Es gehörte zu jenen Männern, die ihre fünf Haare über einen kahlen Kontinent kämmten und glaubten, damit sei das Problem gelöst.
    »Herrgott, Mike ...«
    »Lewis«, sagte Graff nassforsch, »das ist Mr. Marcus Hauser, ein Privatdetektiv. Er war früher fürs Amt für Alkohol, Tabak und Schusswaffen tätig und möchte uns etwas ze i gen.« Graff nahm Hauser ein Blatt Papier aus den Händen und reichte es Skiba.
    Skiba stierte es an. Es war mit seltsamen Symbolen bedeckt, die Ränder mit Schlängellianen und Blättern bekritzelt. Das war Irrsinn. Graff hatte den Verstand verloren.
    »Eine Seite aus einem Maya-Manuskript des neunten Jahrhunderts«, fuhr Graff fort. »Man nennt das einen Codex. Es ist ein zweitausend Seiten starker Katalog über Regenwaldarzneien, ihre Zubereitung und ihren Einsatz.«
    Als Skiba begriff, spürte er, wie die Oberfläche seiner Haut sich erhitzte. Es

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