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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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ich brauchen Ihre Hilfe. Die Welt braucht Ihre Hilfe!«
    Tom stierte die finsteren Pappelhaine in den Flussauen des San Juan River an. Aus einem fernen Wacholderbaum meldete sich eine Eule.
    »Mein Entschluss steht fest«, sagte er.
    Sally musterte ihn weiterhin. Ihr Haar war nun über ihren Schultern und auf ihrem Rücken in heftige Unordnung g e raten. Ihre Unterlippe war ein schmaler Strich. Die Pappeln warfen gesprenkeltes Mondlicht über ihren Körper; die verschwommenen silbernen Lichtflecke kräuselten und veränderten sich mit der Brise. »Wirklich?«
    Tom seufzte. »Wirklich.«
    »Dann helfen Sie mir wenigstens ein bisschen. Ich bitte ja nicht um viel, Tom. Kommen Sie mit mir nach Santa Fe. Stellen Sie mich den Anwälten und Freunden Ihres Vaters vor. Erzählen Sie mir von seinen Reisen und Gewohnhe i ten. Erübrigen Sie zwei Tage für mich. Helfen Sie mir we i ter. Nur zwei Tage lang.«
    »Nein.«
    »Ist Ihnen je ein Pferd gestorben?«
    »Das passiert alle Nase lang.«
    »Ein Pferd, das Sie geliebt haben?«
    Tom dachte spontan an sein Pferd Pedernal, das an einem antibiotikaresistenten Keuchhusten verendet war. Nie wi e der würde er ein so schönes Pferd besitzen.
    »Hätten bessere Medikamente es gerettet?«, fragte Sally.
    Tom schaute auf die fernen Lichter von Bluff. Zwei Tage waren nicht viel, und irgendwie hatte Sally ja auch Recht. »In Ordnung. Sie haben gewonnen. Zwei Tage.«

9
     
    Lewis Skiba, Geschäftsführer von Lampe-Denison Pharmaceuticals, saß reglos an seinem Schreibtisch und blickte auf die graue Reihe von Wolkenkratzern, die sich mitten in Manhattan an der Avenue of the Americas entlangzog. Ein spätnachmittäglicher Regen verfinsterte die Stadt. Das ei n zige Geräusch in dem getäfelten Büro war das Knistern e i nes echten Holzfeuers in dem Siena-Marmorkamin aus dem 18. Jahrhundert: eine traurige Erinnerung an bessere Zeiten. Es war kein kalter Tag, dennoch hatte Skiba die Klimaanl a ge eingeschaltet, um einen Grund zu haben, Feuer zu m a chen. Er fand Feuer beruhigend. Es erinnerte ihn irgendwie an seine Kindheit, an den alten Steinkamin in der Holzhütte am See, mit den gekreuzten Hufeisen über dem Kaminsims und den am Gewässer krächzenden Seetauchern. Gott, wenn er doch jetzt dort sein könnte ...
    Seine Hand schloss fast gedankenlos die kleine Schublade des Schreibtisches auf und umfasste einen kühlen Kuns t stoffbehälter. Skiba schnippte den Verschluss mit dem Daumennagel auf und entnahm ihm eine trockene kleine eiförmige Pille, die er sich in den Mund steckte und zerka u te. Sie schmeckte bitter, aber sie verkürzte die Wartezeit. Und nun der Scotch zum Nachspülen. Skiba griff nach links, schob eine Wandplatte beiseite und nahm eine Fl a sche sechzig Jahre alten Macallan und ein Whisky-Glas an sich. Er schenkte sich eine ordentliche Lage ein. Der Whisky hatte eine satte Mahagonifarbe.
    Ein kühler Spritzer Evian setzte das Aroma frei. Er hob das Glas an die Lippen, kippte einen ordentlichen Schluck in sich hinein und genoss den Geschmack von Torf, Ho p fen, kalter See, Hochlandmoor und feinem spanischem Amontillado.
    Als das friedliche Gefühl über ihn hinwegspülte, dachte er sehnsüchtig an den Großen Abflug, das Fortschweben über ein Lichtermeer. Wenn es so weit kam, brauchte er nur noch zwei Dutzend Tabletten einzuwerfen und den Rest des Macallan zu kippen, dann würde er auf ewig in der blauen Tiefe versinken. Dann brauchte er sich vor dem Kongress nicht mehr auf den Fünften zu berufen. Dann brauchte er auch nicht zu behaupten, er sei auch nur ein irregeleiteter inkompetenter Geschäftsführer, der vor der SEC stand. Dann konnte er sich diesen Kenneth-Lay-Scheiß sparen. Dann war er sein eigener Richter, seine eigenen G e schworenen, sein eigener Henker. Sein Vater, Serg e ant beim Heer, hatte ihn gelehrt, was Ehre war.
    Das Einzige, was die Firma hätte retten können, hatte ihr den Todesstoß verpasst. Der große Durchbruch auf dem Arzneimittelmarkt. Alle hatten geglaubt, sie hätten ihn schon in der Tasche. Phloxatan. Mit diesem Medikament, hatten die Erbsenzähler gemeint, könne man die langfrist i gen Kosten für Forschung und Entwicklung problemlos reduzieren, um die laufenden Gewinne hochzutreiben. Sie hatten gesagt, den Analysten würde es nie auffallen, und am Anfang hatten sie es wirklich nicht gemerkt. Es hatte traumhaft funktioniert. Der Preis ihrer Aktien war durch die Decke geschossen. Dann hatten sie angefangen, die la u fenden Marketingkosten

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