Der Codex
gebundenen Tapir. Sie hän g ten das Tier mit einem Flaschenzug an den Ast eines Ba u mes. Dann ließ Hauser die Männer allein und nahm neben Philip Platz. Als er eine Zigarre hervorzog, abknipste und anzündete, verströmte er einen leichten Geruch von R a sierwasser, Tabakrauch und Blut. Er inhalierte den Rauch und stieß ihn dann wie ein Drache durch die Nasenlöcher aus.
»Wir kommen ganz gut voran, Philip, finden Sie nicht auch?«
»Bewundernswert gut.« Philip schlug nach einem Mosk i to. Es war ihm schleierhaft, wieso Hauser nie gestochen wurde, obwohl er allem Anschein nach zu seinem Schutz keine Chemikalien verwendete. Vielleicht enthielt sein Blutkreislauf ja eine tödliche Dosis Nikotin. Philip fiel auf, dass Hauser den Rauch der dicken Churchill-Zigarre inh a lierte wie den einer Zigarette. Eigenartig, dass manche Menschen an etwas starben, von dem die anderen lebten.
»Ist Ihnen Dschingis Khans Dilemma vertraut?«, fragte Hauser.
»Kann ich nicht behaupten.«
»Als Dschingis Khan sich auf den Tod vorbereitete, wollte er so bestattet werden, wie es einem großen Führer gebührte - mit einem Haufen seiner Schätze, mit Konkubinen und Pferden, damit er auch im Jenseits seinem Vergnügen nachgehen konnte. Aber er wusste, dass die Wahrschei n lichkeit sehr hoch war, dass man seine Grabkammer au s rauben und ihm alle Freuden nehmen würde, die ihm im Jenseits zustanden. Er hat lange darüber nachgedacht, wie sich dieses Problem wohl lösen ließe, doch fiel ihm keine Antwort ein. Schließlich rief er den Großwesir zu sich, den klügsten Mann in seinem Reich.
>Was soll ich tun, um zu verhindern, dass meine Gra b kammer geplündert wird?<, fragte er den Wesir.
Der Wesir dachte lange darüber nach, und schließlich fiel ihm eine Antwort ein. Er erklärte sie Dschingis Khan, und der Herrscher war zufrieden. Als Dschingis starb, führte der Wesir den Plan aus. Er schickte zehntausend Arbeiter in das abgelegene Altai-Gebirge, wo sie eine riesige Gra b kammer aus dem Fels schlugen und mit Gold, Edelsteinen, Wein, Seide, Elfenbein, Sandelholz und Weihrauch füllten. Über tausend schöne Jungfrauen und tausend Pferde wu r den zur Lust des großen Khans dem Jenseits geopfert. Es gab eine gewaltige Bestattungszeremonie und ein ra u schendes Fest für die Arbeiter, dann wurde Dschingis Khans Leiche in die Grabkammer eingeschlossen und die Tür sorgfältig getarnt. Das ganze Gebiet wurde mit Erde bedeckt, dann ritten tausend Reiter durch das Tal, um säm t liche Spuren ihrer Arbeit zu tilgen.
Als die Arbeiter und Reiter zurückkehrten, kam der Wesir ihnen mit dem Heer des Khans entgegen und ließ sie bis auf den letzten Mann niedermachen.«
»Wie scheußlich.«
»Danach beging der Wesir Selbstmord.«
»Was für ein Blödmann. Er hätte reich werden können.«
Hauser kicherte. »Ja. Aber er war seinem Herrn treu ergeben. Er wusste, dass man sogar ihm, dem vertrauenswü r digsten aller Menschen, ein solches Geheimnis nicht anve r trauen konnte. Vielleicht hätte er im Schlaf gesprochen. Vielleicht hätte man es ihm unter der Folter abgepresst. Auch hätte seine Gier ihn überwältigen können. Er war das schwache Glied in der Kette. Deswegen musste auch er sterben.«
Philip hörte ein Hacken, und als er den Blick hob, sah er, wie die Jäger die Beute mit Macheten zerlegten. Die Inn e reien klatschten mit einem feuchten Schmatzen auf den B o den. Philip zuckte zusammen und wandte sich ab. Irgen d wie, wurde ihm bewusst, hatte das Vegetariertum doch e t was für sich.
»Und hier haben wir den Haken, die Schwäche im Plan des Wesirs: Auch ein Mann wie Dschingis Khan musste sich hinsichtlich seines Geheimnisses letztlich auf einen a n deren Menschen verlassen.« Hauser stieß eine beißende Rauchwolke aus. »Und deswegen frage ich Sie, Philip: Wer ist der einzige Mensch, dem Ihr Vater vertraut hat?«
Es war eine gute Frage. Philip dachte schon seit geraumer Zeit darüber nach. »Es war keine Freundin oder Ex-Frau. Über seine Ärzte und Anwälte hat er pausenlos nur gel ä stert. Seine Sekretärinnen haben immer von sich aus g e kündigt. Er hatte keine echten Freunde. Der einzige Mensch, dem er vertraute, war sein Pilot.«
»Und ich habe bereits in Erfahrung gebracht, dass er nichts über die Sache weiß.« Hauser hielt die Zigarre in e i nem steilen Winkel an seine Lippen. »Genau da liegt der Haken, Philip. Hat Ihr Vater vielleicht ein Doppelleben g e führt? Hatte er ein heimliches Verhältnis? Hat er
Weitere Kostenlose Bücher