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Der Codex

Titel: Der Codex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Douglas Preston
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mögl i cherweise einen unehelichen Sohn, den er Ihnen und Ihren Brüdern vorgezogen hat?«
    Allein die Andeutung ließ Philip frösteln. »Ich habe keine Ahnung.«
    Hauser schwenkte die Zigarre. »Das stimmt einen nachdenklich, was, Philip?«
    Er verfiel in Schweigen. Die Vertraulichkeit ermutigte Philip, eine Frage zu stellen, die ihm schon seit geraumer Zeit am Herzen lag. »Was ist zwischen meinem Vater und Ihnen vorgefallen?«
    »Wussten Sie, dass wir schon in unserer Kindheit befreundet waren?«
    »Ja.«
    »Wir sind zusammen in Erie aufgewachsen. In der Straße, in der wir lebten, haben wir Stickball miteinander gespielt. Wir sind zusammen zur Schule gegangen und waren g e meinsam das erste Mal in einem Puff. Wir glaubten, wir würden uns sehr gut kennen. Doch wenn man in den Dschungel vorstößt, wenn's ums Überleben geht, erfährt man noch ein paar andere Dinge über sich. Dann entdeckt man an sich selbst Sachen, von denen man nie etwas geahnt hat. Man erfährt, wer man wirklich ist. Und genau das ist uns passiert. Wir saßen mitten im Dschungel fest, hatten uns verirrt, waren von Insekten zerstochen, hatten nichts zu essen und waren halb tot vor Fieber. Und da haben wir festgestellt, wer wir wirklich sind. Wissen Sie, was ich en t deckt habe? Ich habe entdeckt, dass ich Ihren Vater verac h te.«
    Philip schaute Hauser an. Der Mann wich seinem Blick nicht aus. Sein Gesicht war ruhig, glatt und undurchdrin g lich wie immer. Er spürte, dass es ihm kalt über den Rücken lief. »Und was haben Sie über sich selbst erfahren, Ha u ser?«, fragte er.
    Er sah, dass die Frage sein Gegenüber verblüffte. Hauser überging sie mit einem Lachen. Dann warf er den Zigarrenstummel ins Feuer und stand auf. »Das kriegen Sie noch früh genug raus.«

24
     
    Der Einbaum schob sich durch das dicke schwarze Wasser. Der Motor heulte angestrengt. Der Fluss hatte sich geteilt und war zu einem Labyrinth aus Seitenarmen und riesigen stillen Teichen voll von offen liegendem, schwarzem, sti n kendem, schauerlich aussehendem Schlamm geworden. Wohin Tom auch blickte, sah er wirbelnde Insekte n schwärme. Pingo stand mit freiem Oberkörper am Bug und schwenkte eine riesige Machete, mit der er hin und wieder auf Schlingpflanzen einhieb, die übers Wasser hingen. Die Seitenarme waren oft zu seicht, um den Motor zum Einsatz zu bringen. In solchen Fällen holte Chori ihn ein und stakte. Don Alfonso blieb auf seinem üblichen Platz, dem von e i ner Leinwandplane bedeckten Ausrüstungsstapel. Er saß mit verschränkten Beinen da, mimte den Weisen, paffte hektisch seine Pfeife und lugte nach vorn. Pingo war schon mehrmals von Bord gegangen, um halb versunkene Bau m stämme zu zerlegen, damit sie weiterfahren konnten.
    »Was sind das für teuflische Insekten?«, rief Sally und schlug wild um sich.
    »Tapirfliegen«, sagte Don Alfonso. Er griff in die Tasche und hielt ihr eine geschwärzte Maiskolbenpfeife hin. »Sie sollten vielleicht mit dem Rauchen anfangen, Señorita; das ist den Insekten lästig.«
    »Nein, danke. Rauchen erzeugt Krebs.«
    »Ganz im Gegenteil. Rauchen ist sehr gesund. Es führt zu einer guten Verdauung und einem langen Leben.«
    »Schön.«
    Als sie tiefer in den Sumpf vorstießen, schien sich die V e getation von allen Seiten an sie zu drängen und bildete mauerartige Schichten aus glänzenden Blättern, Farnen und Schlingpflanzen. Die Luft war tot und dick und roch nach Methan. Das Boot schob sich wie durch heiße Suppe voran.
    »Woher wissen Sie, dass dies der Weg ist, den mein Vater genommen hat?«, fragte Tom.
    »Im Meambar-Sumpf gibt es viele Pfade«, sagte Don Alfonso, »aber nur einen, der hindurchführt. Ich, Don Alfo n so, kenne diesen Weg, und Ihr Vater hat ihn auch g e kannt. Ich kann die Zeichen lesen.«
    »Und was besagen sie?«
    »Dass drei Reisegruppen vor uns sind. Die erste kam vor einem Monat hier durch. Die zweite und die dritte sind nur wenige Tage voneinander getrennt. Sie waren vor etwa e i ner Woche hier.«
    »Woran können Sie das alles erkennen?«, fragte Sally.
    »Ich lese es im Wasser. Ich sehe eine Kerbe an einem versunkenen Baumstamm. Ich sehe einen Schnitt in einer Schlingpflanze. Ich sehe eine Stakenmarkierung auf einer Unterwassersandbank oder eine Rinne, die ein Kiel an einer seichten schlammigen Stelle hinterlassen hat. In diesem toten Wasser erhalten sich Markierungen dieser Art wochenlang. «
    Sally deutete auf einen Baum. »Schauen Sie mal, da dr ü ben steht ein Gumbo-Limbo-Baum -

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