Der Codex
Bursera simuraba. Die Mayas haben seinen Saft gegen Mückenstiche eingesetzt.« Sie wandte sich zu Don Alfonso um. »Lassen Sie uns hi n fahren und etwas von dem Zeug sammeln.«
Don Alfonso nahm die Pfeife aus dem Mund. »Mein Großvater hat den Saft dieses Gewächses immer gesammelt. Wir nennen sie Lucawa.« Er musterte Sally mit neuem Respekt. »Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Curandera sind.«
»Bin ich eigentlich auch nicht«, sagte Sally. »Ich habe aber in meiner Zeit auf dem College eine gewisse Zeit im No r den verbracht und bei den Mayas gelebt. Ich habe ihre M e dizin studiert. Ich bin Ethnopharmakologin.«
»Ethnopharmakologin? Das klingt nach einem sehr bedeutenden Beruf für eine Frau.«
Sally runzelte die Stirn. »In unserer Zivilisation können Frauen das Gleiche tun wie Männer. Und umgekehrt.«
Don Alfonsos Brauen zuckten hoch. »Das glaube ich nicht.«
»Es stimmt aber«, sagte Sally trotzig.
»Gehen die Frauen in Amerika auf die Jagd - und die Männer kriegen die Kinder?«
»Das habe ich doch nicht gemeint.«
Don Alfonso schob sich das Mundstück der Pfeife mit einem triumphierenden Lächeln zwischen die Zähne. Er hatte eindeutig gewonnen. Er zwinkerte Tom übertrieben zu. Sally warf Tom einen Blick zu.
Ich hab doch gar nichts gesagt, dachte Tom beleidigt.
Chori steuerte das Boot längsseits an einen Baum. Sally versetzte der Rinde einen Hieb mit ihrer Machete und schälte einen vertikalen Rindenstreifen ab. Der Saft begann sofort in rötlichen Tröpfchen auszutreten. Sie kratzte ein wenig davon ab, rollte ihre Hosenbeine hoch und schmierte sich das Zeug auf ihre Stiche. Dann rieb sie ihren Hals, ihre Gelenke und ihre Handrücken ein.
»Sie sehen ja schrecklich aus«, sagte Tom.
Sally kratzte mit der Machete noch mehr von dem klebrigen Saft ab und hielt sie ihm hin. »Tom?«
»An meinen Leib lasse ich das Zeug nicht.«
»Kommen Sie gefälligst her.«
Tom machte einen Schritt auf Sally zu, und sie rieb es in seinen grässlich zerstochenen Nacken ein. Das Jucken und das brennende Gefühl nahmen ab.
»Na, wie ist es?«
Tom bewegte den Hals. »Klebrig, aber gut.« Das Gefühl ihrer kühlen Hände an seinem Hals gefiel ihm.
Sally reichte ihm die Machete mit dem Saftklumpen. »Beine und Arme können Sie sich selbst einreiben.«
»Danke.« Tom folgte ihrem Rat. Die Wirkung überraschte ihn.
Auch Don Alfonso nahm etwas von dem Saft. »Es ist wir k lich bemerkenswert! Eine Yanqui-Frau, die die mediz i nischen Geheimnisse der Pflanzen kennt. Eine echte Curandera. Da lebe ich nun schon hunderteinundzwanzig Jahre und weiß noch immer nicht alles.«
Am Nachmittag passierten sie den ersten Felsen, den Tom seit Tagen zu Gesicht bekommen hatte. Dahinter fiel gefi l tertes Sonnenlicht auf eine überwachsene Lichtung, die sich zu einer hoch liegenden Insel auswuchs.
»Hier lagern wir«, gab Don Alfonso bekannt.
Sie steuerten den Einbaum längsseits an den Felsen und vertäuten ihn. Pingo und Chori sprangen mit der Machete in der Hand an Land, balancierten über Felsen und mähten die neuen Gewächse nieder. Don Alfonso schlenderte u m her, untersuchte den Boden, scharrte mit den Füßen und hob hier und da eine Ranke oder ein Blatt auf.
»Es ist erstaunlich«, sagte Sally und schaute sich um. »Hier wächst Zorillo. Stinktierwurzel, eine der wichtigsten Pflanzen, die die Mayas verwendet haben. Sie haben aus den Blättern ein Kräuterbad gemacht und die Wurzel gegen Schmerzen und Geschwüre eingesetzt. Sie nennen es Pa y che. Und da wächst auch etwas Suprecayo. Und da drüben ist ein Seweetia panamensis-Baum. Es ist wirklich erstau n lich. Hier existiert ein einmaliges kleines Ökosystem. Hat j e mand was dagegen, wenn ich ein bisschen botanisieren g e he?«
»Fühlen Sie sich nur ganz wie zu Hause«, sagte Tom.
Sally ging in den Wald, um weitere Pflanzen zu sammeln.
»Sieht so aus, als hätte hier vor uns schon jemand gelagert«, sagte Tom zu Don Alfonso.
»Ja. Diese große Lichtung wurde erst vor etwa einem Monat freigelegt. Ich sehe eine Feuerstelle und die Überreste eines Unterstandes. Vor ungefähr einer Woche waren zum letzten Mal Menschen hier.«
»Das alles ist in einer Woche gewachsen?«
Don Alfonso nickte. »Der Wald schätzt keine freien Stellen.« Er stocherte in den Resten eines Lagerfeuers herum, dann hob er etwas auf und reichte es Tom. Es war eine a n geschimmelte und halb zerfallene Zigarrenbauchbinde der Marke Cuba Libre.
»Die Marke meines Vaters«, sagte Tom
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