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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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folgten ihr. Kaum hatten
sie in dem engen Kellergewölbe einen Fuß auf den Boden gesetzt, fiel über ihnen
die schwere Platte nach unten, und der Keller wurde nur noch von einer
Glühlampe erhellt, die provisorisch von der Decke baumelte.
    »Warum
hast du die Platte nicht offen gelassen? Mich hätte das Licht von oben nicht
gestört.« Manuela Rast setzte sich auf das alte zerschlissene Sofa, das einem
mindestens genauso alten kleinen Röhrenfernseher gegenüberstand.
    »Die
Platte fällt von allein zu. Bernd meinte, das wäre sicherer so. Sonst stürzt
noch jemand aus Versehen hier runter und bricht sich was.« Ute von Heesen ging
zu dem kleinen Kühlschrank in der Ecke und nahm eine neue Flasche Wein heraus.
    »So
fürsorglich kenn ich meinen lieben Lagerfeld ja gar nicht«, spöttelte
Honeypenny. »Aber jetzt schalt ein, sonst verpassen wir noch das Beste!«
    Die
Hausherrin drückte einen Knopf auf der Fernbedienung, und Sekunden später
erschien eine Studiobühne, auf der sich ein etwa Sechzehnjähriger mit lila
Irokesenschnitt und silberfarbenen Lacklederhosen abzappelte und eine
dreiköpfige Jury mit seinem Gesang zu beeindrucken trachtete.
    Als er
seine Performance beendet hatte, schaute er erwartungsvoll in Richtung
Juroren-Tisch, hinter dem ein Mann und eine Frau mühsam versuchten ihre
Abneigung dem eben Gesehenen und Gehörten gegenüber zu kaschieren. Nur der Chef
der Juroren, Detlef Bohl, hielt mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg. Wie
üblich, wenn jemand Talentfreies es gewagt hatte, sich vor ihm zu produzieren,
machte er ihn zur Minna: »Hör zu, du Flasche. Willst du uns verarschen hier?
Mach, dass du rauskommst, du Flitzpiepe. Deine Show ist ja so dermaßen scheiße,
da wird einem ja ganz schlecht von. Mach die Fliege, oder ich schmeiß dich
eigenhändig raus!«
    Völlig
verstört verzog sich der zugegebenermaßen eher unbegabte Kandidat und holte
sich beim Hinausgehen noch eine blutige Nase, weil die Tür zum Studio vor ihm
so heftig aufgestoßen wurde, dass ihm der Türflügel gegen sein Nasenbein
gedonnert wurde. Voller Schmerzen und ernüchtert, was seine gesangstechnischen
Fähigkeiten betraf, ging er an dem hereinstürmenden neuen Kandidaten vorbei und
schwankend von dannen.
    »Da
isser, da isser!«, rief Ute aufgeregt.
    Manuela
und Honeypenny sahen sich verblüfft an. So kannten sie ihre Ute ja gar nicht.
Den nächsten Kandidaten kannten allerdings alle drei.
    »Und wer
bist du?«, fragte Detlef Bohl den Mann, der mit verbissenem Blick, hängender
Jeans, einem etwas fleckigen Hemd und verspiegelter Sonnenbrille vor ihnen
stand.
    »Ich bin
der Sänger von Coburch«, antwortete der Mann aggressiv.
    »Aha, und
welchen Namen hat unser Sänger von Coburg?«, fragte die Blondine am
Jurorentisch belustigt.
    Der
Sänger drehte den Kopf in ihre Richtung. Was in ihm vorging, war aufgrund der
verspiegelten Brillengläser nur entfernt zu erahnen.
    »Ich bin
der Auserwählte, ich du gewinna.« Siegessicher reckte er sein Kinn nach vorn.
    Bohl
knetete sich die Nasenwurzel, während der zweite Mann am Tisch den seltsamen
Kandidaten fröhlich aufforderte, doch einfach mal loszusingen.
    »Achtung«,
Ute von Heesen beugte sich nach vorn, »jetzt passiert’s.«
    Der
Auserwählte ließ sich nicht lange bitten und ging in eine Art Ausfallschritt.
Dann räusperte er sich laut und vernehmlich, bevor er mit seiner Darbietung
begann. Allerdings schaffte es sein Gesang, haargenau außerhalb des Taktes zu
bleiben, während er mit seinem merkwürdig unrhythmischen Gehopse jeglichen Rest
etwaiger Gesangsästhetik vernichtete.
    Detlef
Bohl sah aus, als hätte ihn jemand an seinem Fortpflanzungsorgan mit
Elektroschocks behandelt, und auch seine beiden Nebensitzer hielten sich mit
schmerzverzerrten Gesichtern die Ohren zu.
    Auf dem
Kellersofa herrschte dagegen allerbeste Laune. Die drei Damen lachten sich
schlapp, nur Riemenschneider saß in seltsamer Hab-Acht-Stellung in der
hintersten Kellerecke und hatte die Ohren nach innen gerollt.
    Nach
nicht einmal einer Minute war alles vorbei, und der Auserwählte stand keuchend
vor den Juroren. Von seiner Brille tropfte Kondenswasser, und das gelb karierte
Hemd schien unter der rechten Achsel einen langen Riss aufzuweisen.
    »Mein
Gott!« Vorsichtig nahm die Blondine die Hände von ihren Ohren. Sie hatte Angst,
das musikalische Inferno könnte noch nicht vorbei sein.
    »Das war
das Schlimmste, was ich jemals gehört habe«, sagte der Juror ganz außen am
Tisch, während er

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