Der Colibri-Effekt
und schien
über das weitere Vorgehen nachzudenken. Kurz darauf drang die komplette
Aromenvielfalt des persönlichen Geruches des Mannes zu ihr durch.
Riemenschneider zuckte zusammen und konnte nur mit Mühe ein erschrockenes
Knurren unterdrücken. Sie kannte den Geruch, es war der gleiche, der in der
Hütte zu suchen gewesen war, in der man diesen kopflosen Menschen gefunden
hatte, und den sie in der Wiese gerochen hatte, nachdem irgendwer den Baron
angeschossen hatte. Riemenschneider verband den Geruch mit Unheil und Tod, mit
dem Bösen in Menschengestalt. Im Dunkeln stand sie am Fuß der alten Steintreppe,
den kleinen Rüssel steil nach oben in Richtung Ausgang gerichtet. Dann, nach
endlosen Minuten der Stille, bewegte sich der Mann wieder. Diesmal ging er
schnell und entschlossen in Richtung Tür und war Sekunden später verschwunden.
Riemenschneider wartete noch eine Weile, aber er kam nicht zurück. Schließlich
trollte sie sich wieder zu ihrem Teppichrest zurück und legte sich darauf
nieder. Doch so viel stand für sie jetzt schon fest: Schlafen würde sie in
dieser Nacht nicht mehr.
»Er ist
nicht hier!«, rief sie entsetzt und wollte sich aus dem großen Sessel erheben,
der dem des Barons in dem kleinen Wohnzimmer gegenüberstand. Hier hatten sie in
den letzten Wochen abends immer noch geplaudert, bevor jeder in sein Bett
gegangen war. Aber der Baron war nicht mehr da – dafür an seiner Stelle
dieser Mann, der ihr eine Art Machete an den Hals hielt. Sie kannte ihn. Es war
der gleiche, der schon vorgestern aufgetaucht war und nach ihrem Sohn gefragt
hatte. Auch da hatte er eine Machete in der einen und in der anderen Hand diese
merkwürdige Zigarette gehalten. Als er sah, dass weder Hans Günther noch der
Baron da war, hatte er mit einem mordlustigen Blick die Machete geschwungen und
war dann nach draußen verschwunden. Sie hatte solch eine Angst. Um ihren Sohn
und auch um Ferdinand. Also hatte sie aus dem Waffenschrank des Barons das
Gewehr herausgenommen. Sie hatte schon einmal damit auf ein altes Fass
geschossen, der Baron hatte ihr das Bedienen der Waffe gezeigt.
Aber
draußen war sie in diesem dichten Nebel mit dem Gewehr so allein gewesen, und
die Angst war immer größer geworden, bis sie schließlich nicht mehr wusste, wo
sie sich befand. Als ihr Herz ihr bis zum Hals schlug und die Panik
unerträglich wurde, hörte sie plötzlich einen Mann rufen, und kurz darauf fielen
die Schüsse. Dem Geräusch nach musste irgendetwas oder irgendwer getroffen
worden sein. Ohne zu zögern, lief sie in die Richtung der beiden Schüsse. Jetzt
war nur noch das laute Stöhnen eines Mannes zu hören, und etwas entfernt im
Nachbarhaus gingen die Lichter an. So schnell sie konnte, flüchtete sie sich
ins Haus und versteckte das Gewehr unter ihrem Bett. Sie war kaum wieder im
Erdgeschoss, als schon die Nachbarn angerannt kamen, die den schwer verletzten
Baron gefunden hatten. Sie hatte den schwersten Schock ihres Lebens erlitten.
In ihrer panischen Angst hatte sie versehentlich auf Ferdinand von Rotenhenne
und nicht auf den Mann mit der Machete geschossen. Nicht auf diesen Mann, der
nun wieder vor ihr stand und nach ihrem Sohn fragte. Aber Hans Günther war
nicht da. Sie hätte doch auch gern gewusst, wo er sich befand und wie es ihm
ging. Sie selbst wusste ja am allerwenigsten, in was für einen Schlamassel ihr
Sohn da hineingeraten war, aber der Mann hatte ihr nicht geglaubt und sie an
diesen Stuhl gebunden.
Jetzt
stand er vor ihr mit einer Spritze in der Hand, in der eine bläuliche
Flüssigkeit schimmerte. Sie spürte den Stich in ihren Oberarm, dann setzte sich
der große Mann mit den blonden Locken ihr gegenüber in den Sessel des Barons
und lächelte sie mit diesem merkwürdigen Blick an. Allmählich spürte sie, wie
sich in ihr eine geradezu fröhliche Stimmung ausbreitete. Das düstere Gefühl
verschwand, und es war angenehm, die Stimme des Mannes zu hören, in diesem
Zimmer zu sitzen und nett zu plaudern. Sie musste kichern, wie damals als
kleines Mädchen. Wie schön, auch der Mann lächelte.
Nach
einer endlich einmal halbwegs durchschlafenen Nacht holte Haderleins Handy
seinen Herrn und Meister dennoch etwas verfrüht aus den Federn.
»Was
gibt’s?«, meldete sich der Kriminalhauptkommissar schlaftrunken und warf einen
Blick auf seine Uhr: kurz vor sechs.
»Ich
bin’s, Herr Kommissar, Horst Geißendörfer. Wir haben uns gestern auf der
Stufenburg kennengelernt.«
Haderlein
richtete sich sofort in
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