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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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oder etwas anderes auf der »Bardal«
bedienen musste, stand ihm Tom mit seinem letzten, völlig entsetzten
Gesichtsausdruck vor Augen. Er musste seine Gefühle mit Gewalt im Zaum halten.
    Kaum dass
das ROV an Bord war, ließ Rutger den Zylinder aus
dem extrastark geknüpften Netz herausholen und öffnen. Der verkrustete
Verschluss hatte ein paar Schläge mit einem Vorschlaghammer nötig, dann aber
ließ sich der massive Deckel abschrauben. Was dann zum Vorschein kam, löste bei
Rutger und seinen Skins ein enttäuschtes Stöhnen aus, Dag Moen hingegen war
eher amüsiert. Der Zylinder enthielt weder Gold noch Geld oder irgendeinen
anderen wertvollen Schatz, sondern war voller russischer Zigaretten.
»Belomorkanal«, so stand auf den Schachteln. Die rote Flagge der Sowjetunion
prangte auf jeder einzelnen Zigarette. Dag Moen nahm lächelnd eine Schachtel
heraus und warf sie HG zu, der sie mit einer
schnellen Bewegung der freien Hand fing und sofort in seiner Hosentasche
verschwinden ließ. Einen kurzen Moment konnte man einen misstrauischen Blick
bei Dag Moen erkennen. Jahns Handbewegung war dermaßen schnell und sicher
gewesen, als hätte er sie sein Leben lang trainiert. Doch dann konzentrierte
sich der norwegische Waffenhändler wieder auf das Wesentliche.
    »Das war
der erste Teil Ihrer Abschlussprämie«, rief Moen grinsend HG zu, dann befahl er zwei herumstehenden Skins, den
Zylinder wieder zu verschließen und ihn in ihr Schlauchboot zu verladen. Er
würde später entscheiden, was damit geschehen würde, jetzt stand der
interessanteste Teil des Tages bevor. Er gab Jahn ein Zeichen, und das ROV erhob sich vom Bugdeck und wurde mit dem Kran
wieder zu Wasser gelassen.
    Wenig
später dirigierte HG mit seinem Joystick und
anhand von Bildschirmen das ROV erneut auf
tausendachthundert Meter Tiefe. Wieder dauerte das Absinken eine geschlagene
Stunde, dann sah er die »Komsomolez« mit ihrem aufgeschnittenen Bug wieder vor
sich. Er brachte den »Cougar« in Position, setzte ihn aber erst einmal auf den
sandigen Meeresgrund.
    »Was soll
das?«, fragte Moritz Kiesler und legte die Hand an seine Machete. Auch Dag Moen
und Rutger Kesselring schauten ihn misstrauisch an.
    Hans
Günther Jahn erhob sich, als ob nichts wäre, und machte eine angedeutete
Dehnübung. »Jetzt gilt’s. Da geh ich mich doch lieber vorher noch erleichtern«,
sagte er mit treuherzigem Augenaufschlag.
    Rutger
Kesselring knurrte etwas Unverständliches, gab dann aber den Zwillingen ein
Zeichen. Hans und Moritz Kiesler packten Jahn an je einem Arm und brachten ihn
zur Toilette. Auch Dag Moen folgte ihnen mit ein paar Metern Abstand und
beobachtete aufmerksam das Geschehen. Die Anspannung auf der »Bardal« war
förmlich mit den Händen zu greifen.
    Jahn
hatte den Toilettengang sehr bewusst geplant. Heute Morgen, als er Marit ein
letztes Mal in den Armen gehalten und sich von ihr verabschiedet hatte, hatte
er beschlossen zu handeln. Seinen Plan hatte er auf den langen hundertneunzig
Kilometern zur Bergungsstelle geschmiedet. Auf der Toilette, dem einzigen Raum,
in dem er auf dem Schiff vollkommen allein sein konnte, ging er alles noch
einmal gedanklich durch. Die Chancen standen bestenfalls fünfzig-fünfzig, aber
das war bei Weitem besser als ein hundertprozentiger Tod. Vor allem war das
Überraschungsmoment auf seiner Seite. Genau in dem Augenblick, in dem der
Torpedo zum Greifen nah war, würde er zuschlagen. Und dann hieß es: entweder –
oder.
    Er
betätigte die Spülung und öffnete die Toilettentür. Hans Kiesler trat zur
Seite, und sein geschwätziger Zwillingsbruder Moritz spottete: »Er ist ja doch
nicht abgehauen, unser U-Boot-Kapitän. Sehr schön, dann mal an die Arbeit.« Er
stieß Jahn heftig in den Rücken.
    HG lief an Dag Moen vorbei
und konnte aus dem Augenwinkel sehen, dass ihn der Waffenhändler mit einem
prüfenden Blick betrachtete, als würde er spüren, dass er etwas plante. Aber HG ging ruhig zu seiner Steuerungseinheit in den Container
zurück und setzte sich wieder vor die Monitore. Die Schergen postierten sich
wie zuvor direkt hinter ihm und beobachteten jede seiner Bewegungen.
    Es lief
alles wie am Schnürchen. Wieder griff er mit den beiden Roboterarmen zu. Im
Licht der Unterwasserscheinwerfer konnte man sehen, wie der Gefechtskopf aus
der Hülle seiner Antriebseinheit glitt. Jahn ließ das Netz ausklappen und den
atomaren Sprengkopf zielgenau hineinsinken.
    »Gleich
haben wir es«, brummte er betont beiläufig und schickte

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