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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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anderen Medikamenten. Da der Wirkstoff als Tablette sehr
schnell vom Körper aufgenommen wird, tritt die Wirkung spätestens zwanzig
Minuten nach der Anwendung ein und hält mehrere Stunden an. Einige Effekte
können noch bis zwölf Stunden nach der Anwendung auftreten.«
    »Moment«,
wollte Haderlein nun wissen, »was genau meinen Sie mit Effekten?«
    »Genau
das ist ja der Punkt«, sagte Siebenstädter. »Bei Gebrauch von Flunitrazepam in
Verbindung mit anderen Wirkstoffen wie beispielsweise Opiaten kann es als
hauptsächliche Nebenwirkung zu einer umfassenden Amnesie kommen. Daher stand
Flunitrazepam bald in dem Ruf, eine Vergewaltigungsdroge zu sein. Opfer können
sich oft an keine Details vom Hergang des Geschehens erinnern. Besonders in den
neunziger Jahren wurden die damals farb- und geschmacklosen Tabletten für
diesen Zweck missbraucht, meist wurden sie Getränken beigemischt. Später
änderte der Hersteller die Zusammensetzung, sodass die seitdem produzierten
Pillen eine bläuliche Farbe aufweisen. In einigen Ländern sind sie noch immer
erhältlich und werden außerdem von einigen Herstellern und Firmen noch in der
alten Form in den Handel gebracht. Deep Blue ist im Grunde nur ein mit Opium
versetztes Flunitrazepamderivat. In den westlichen Ländern ist Deep Blue
deswegen auch nicht als Medikament zugelassen und gilt als illegal.
Insbesondere im arabischen Raum ist die Substanz aber teilweise noch
erhältlich – wenn man entsprechende Kontakte besitzt. Auf dem deutschen
Schwarzmarkt sind die Tabletten als Blaukehlchen bekannt, aber kaum mehr zu
bekommen. Vor allem unter Partydrogen-Konsumenten war das Mittel geläufig,
unter anderem zum Runterkommen nach dem Konsum halluzinogener Drogen. Es macht
einen ruhig, hat eine entspannende Wirkung und verhilft zu einer fröhlichen
Grundstimmung. Verflüssigt man das Mittel jedoch in einer Natriumchloridlösung
und spritzt es intramuskulär, dann kommt es einerseits zu einer enormen
Auskunftsfreudigkeit des Probanden, andererseits aber auch zu dramatischen
Nebenwirkungen. Das Opfer ist nach der Gabe der Droge innerhalb weniger Stunden
nicht mehr ansprechbar, elementare Funktionen des Gehirns werden weitgehend
herabgesetzt oder zerstört. Wer dieses Mittel einsetzt, erhält in aller Regel
die Information, die er haben will, hinterlässt allerdings einen nicht mehr
lebenstüchtigen und vollkommen zerstörten Geist. Die Ultima Ratio. Tja, so ist
er, der Mensch. Brutal und ungerecht«, endete Siebenstädter seinen umfassenden
fachlichen Monolog.
    »Und was
hat sich HG vor ungefähr zwei Stunden nun selbst
gespritzt?«, fragte Lagerfeld und hielt dem Professor die gläserne Kapsel mit
dem Rest der farblosen Flüssigkeit hin, die HG vor seinem Gedächtnisverlust in der Pappschachtel verstaut und dem
unglücklichen Roald übergeben hatte. Siebenstädter betrachtete die Glasampulle,
nahm dann aber doch eine Lupe zur Hand, um die kleine Schrift auf dem Etikett
zu entziffern.
    »Das ist
Rezoanilin«, sagte er schließlich nachdenklich und gab dem Kommissar die
Ampulle zurück.
    »Rezoanilin?«,
echote Haderlein ratlos. »Und was ist das? Wofür ist das gut?«
    Siebenstädter
überlegte kurz, dann waren seine Schlussfolgerungen zu einem befriedigenden
Ergebnis gekommen. »Nun, ich nehme an, dies ist das einzige Gegenmittel, das
bei einer Blaukehlchen-Behandlung Erfolg verspricht. Allerdings müsste das vor
der Verabreichung von Deep Blue gespritzt werden oder zumindest sehr zeitnah
danach. Ich weiß von Studien mit dem Urstoff Flunitrazepam, bei denen mit zuvor
oder kurz danach verabreichtem Rezoanilin zumindest stark abgemilderte
Nebenwirkungen der Droge erreicht werden konnten. Völlig ausschalten lassen sie
sich jedoch nicht. Was Therapien und Heilungschancen anbelangt, müsste ich erst
in der Fachliteratur stöbern, da weiß ich so spontan leider nichts drüber.«
Bedauernd zuckte Siebenstädter mit den Schultern und sah auf seine Uhr. Ein
untrüglicher Hinweis für seine Gäste, dass er sie nun hinauskomplimentieren
würde. Aber Haderlein wollte sich so nicht abspeisen lassen. Die Farbe von
gewissen selbst gemischten Cocktails von gewissen Gerichtsmedizinern auf
gewissen Geburtstagsfeiern hatte spontan einen Verdacht in ihm reifen lassen.
    »Geben
Sie es doch zu, Siebenstädter«, knurrte er dem Pathologen ins Gesicht. »Dieses
Zeug, dieses Deep Blue, das war doch auch in Ihrem seltsamen Punsch an Ihrem
Geburtstag, oder nicht?«
    Siebenstädter
hielt Haderleins Blick

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