Der Colibri-Effekt
wahr. Aber schließlich konnte von
Rotenhenne ja nicht wissen, dass er mit Robert Suckfüll einen Einser-Juristen,
den besten seines Jahrgangs in Bayern, vor sich hatte. Sein Chef mochte sozial
und umgangstechnisch etwas unterbelichtet sein, als Jurist und Dienststellenleiter
war er jedoch ein Ass. Ihm fehlte einfach nur ein Spamfilter für das Verhalten,
das er in der Öffentlichkeit zeigte.
»Gibt es
wenigstens schon einen Verdächtigen für diese schreckliche Tat, Haderlein?«,
fragte Suckfüll jetzt konzentriert.
»Den gibt
es allerdings«, antwortete Haderlein. »Ein gewisser Hans Kiesler, der in dieser
Hütte gewohnt hat. Allerdings scheint er mitsamt seines Kleinlasters voller
Habseligkeiten verschwunden zu sein.«
»Dann
schicken wir sofort eine Fahndung raus«, drängelte Fidibus und wollte schon
aufstehen, um entsprechende Weisungen zu erteilen.
»Stopp!«,
rief Haderlein. »Dazu müssen wir wenigstens ein Bild von dem Mann haben et
cetera pp. Diesbezüglich soll uns der Herr Baron weiterhelfen. Wenn sich nichts
anderes ergibt, werden wir mit seiner Hilfe mit einem Phantombild an die
Öffentlichkeit gehen.« Er zuckte mit den Schultern. »Außerdem haben wir noch
das hier.« Schwungvoll griff er in seine Jackentasche und legte dann eine
Zigarette mit merkwürdig langem Filterpapier und einer roten Banderole mit
gelber Sichel auf den Tisch.
»Ich
werde verrückt, eine alte ›Belomorkanal‹!«, rief Fidibus überrascht. »Wo haben
Sie die denn aufgetrieben, Haderlein? Das wäre aber nicht nötig gewe–« Er
wollte schon hocherfreut nach der Zigarette greifen, aber Haderlein gebot ihm
Einhalt.
»Das ist
ein Beweismittel, Chef, und lag übrigens schon einige Zeit auf einer
verwesenden Leiche.«
»Oh«,
entfuhr es Robert Suckfüll. Sofort nahm er Abstand davon, das Beweis- als
Genussmittel zu missdeuten, und überlegte. Sein Kommissar Haderlein hatte ihm
die Zigarette bestimmt vor die Nase gelegt, weil er etwas von ihm wissen
wollte. Mit Tabak und den diversen Spielarten seiner Verwendung kannte er sich
ja einigermaßen aus, selbst wenn er hier im Büro in puncto Nikotinkonsum
sozusagen nicht mehr zum Zug kam. Die Zigarette hier war ihm jedenfalls
bekannt. Sie war etwas Besonderes.
»Das hier
ist eine sogenannte ›Papirossi‹, genauer gesagt: eine Belomorkanal«, erklärte
Fidibus durchaus ehrfürchtig. Seine Blicke wanderten über die Zigarette wie die
eines Antiquitätenhändlers über einen äußerst seltenen Nomadenschrank aus dem
Inneren der Mongolei.
»Diese
Zigaretten werden zwar heute noch hergestellt, aber dieses Exemplar hier stammt
zweifelsfrei aus der ehemaligen Sowjetunion, wie sich unschwer an der farbigen
Banderole erkennen lässt. Die Banderole ist übrigens ungewöhnlich,
normalerweise wurden Sonderserien der Belomorkanal zwar mit Schrift oder
Symbolen bedruckt, aber es wurde keine extra Banderole hergestellt. Das war’s
eigentlich auch schon, was ich Ihnen dazu sagen kann, Haderlein. Ein wirklich
schönes Stück, fast zu schade zum Rauchen.«
Mit einem
Seufzer des Bedauerns lehnte sich Fidibus in seinem schwarzen Sessel zurück und
betrachtete die Zigarette wie ein Dieb einen Edelstein in einer
einbruchssicheren Vitrine.
»Wenn Sie
etwas Genaueres wissen wollen, dann sollten Sie sich an einen Spezialisten
wenden, einen, der sich mit Tabakwaren aus aller Welt wirklich auskennt. Zu
einem solchen könnte ich Ihnen sogar den Kontakt herstellen, Haderlein. Seine
Adresse befindet sich allerdings zu Hause in meinem Privatarchiv. Ich kann sie
morgen mitbringen, wenn das reicht«, sagte der Chef der Dienststelle.
»Das ist
ja schon mal was.« Haderlein war voll ehrlicher Anerkennung.
Er
wickelte die Zigarette wieder in die kleine Plastiktüte und wollte sie in
seiner Jackentasche verschwinden lassen, als sich der Baron unversehens wieder
ins Gespräch einmischte.
»Entschuldigung,
aber wie kommt denn eine Ansammlung altrussischer Glimmstängel auf die
unbekannte Leiche in meinem Gartenhaus, wenn ich fragen darf? Und wie wird das
jetzt weitergehen? Wird die Polizei mein Grundstück belagern? Und bin ich
verhaftet, oder kann ich mich wieder meiner eigenen Baustelle widmen? Ich
müsste mich auch um diese verdammten Biber kümmern, die mein Grundstück unter
Wasser gesetzt haben.« Ungeduldig schaute er in die Runde.
Robert
Suckfüll horchte auf. »Biber? Sie haben Biber auf Ihrem Grundstück, Herr
Baron?«, fragte er erstaunt.
»Allerdings
hab ich die verdammten Viecher.« Der Baron
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