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Der Colibri-Effekt

Der Colibri-Effekt

Titel: Der Colibri-Effekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helmut Vorndran
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können, was auf ihn
einstürmte. Er musste systematisch vorgehen, sich Stück für Stück durch den
Dschungel aus losen Fakten und unerklärlichen Gefühlen hindurcharbeiten.
    Die
Straße führte leicht bergab Richtung Bergen. Bald sah er die ersten Holzhäuser.
Inzwischen war es dunkel geworden, und die historische Altstadt Bergens, Bryggen
genannt, schummerte mit ihren kleinen Gassen dem Feierabend entgegen. Das
Dämmerlicht löste ein heimatliches Gefühl in ihm aus. Hier fühlte er sich
geborgen, eine Wohltat für seine geschundene Seele, was ihn allerdings
überraschte. Er dachte und redete deutsch, war also ganz sicher kein Norweger.
Und trotzdem fühlte sich die Altstadt von Bergen wie sein Zuhause an.
    Er parkte
den Pick-up an der Straße in der Nähe des berühmten Fischmarktes, der mit
abgedeckten Ständen jetzt geschlossen war. Ihm war nach warmem Essen und einem
kühlen Bier. Vielleicht würde beides ja beim Nachdenken helfen. Ziellos
wanderte er durch die gepflasterten romantischen Gassen vorbei an den zahllosen
historischen Holzhäusern. Schon nach kurzer Zeit traf er auf ein beleuchtetes Schild
mit einem aufgemalten Tintenfisch und der Aufschrift »Bryggen Tracteursted«. Er
ging die hölzernen Stufen zum Eingang im ersten Stock hinauf und blieb
unschlüssig vor der in erdigem Rot gestrichenen Tür stehen. Von drinnen drang
der Geruch nach gebratenem Fisch und volkstümliche Musik nach draußen, und
wieder überkam ihn das Gefühl aus Wärme, Wehmut und Geborgenheit mit voller
Wucht. Er hätte auf Knopfdruck losheulen können, riss sich aber zusammen.
    Ihm war
klar, dass ein Abendessen in einem norwegischen Restaurant ein teurer Spaß
werden würde, aber er hatte ein paar tausend Kronen in der Tasche und einen
Bärenhunger. Muscheln, genau die brauchte er jetzt. Eine große Schüssel
gekochter norwegischer Muscheln in Weißweinsoße, danach war ihm und nach nichts
anderem. Entschlossen stieß er die Tür zum »Bryggen Tracteursted« auf.
    Der Weg
zur Baustelle der Stufenburg war nicht so steil, wie Haderlein vermutet hatte.
Zwischendurch gab es zwar kurze steile Wegstücke, aber anschließend ging es
immer wieder kommod bergan in Richtung Burg. Der treppenartige Charakter des
Geländes hatte dem Stufenberg und seiner Burg ihre Namen gegeben.
    Von der
relativ kleinen Burg waren nur mehr ein paar Grundmauern und Fundamente übrig,
aber der Baron hatte es sich in den Kopf gesetzt, sie im Originalstil wieder
aufzubauen. Und das nur, so erzählte er, weil ein gewisser Anton von Rotenhenne
um das Jahr 1400 herum im Besitz der Burg gewesen war. Aber die Vorfahren des
Barons hatten wohl damals einen eher lässigen Lebensstil gepflegt, welcher
schließlich zu dem Verfall des mittelalterlichen Bauwerkes geführt hatte. Als
die Burg dann in den Bauernkriegen geschleift und zerstört wurde, war kein
großer Unterschied mehr zwischen Vorher und Nachher zu erkennen.
    Aus Sicht
des Barons ein schmerzlicher Stachel in der Familiengeschichte derer zu
Rotenhenne, also hatte es sich der frau- und kinderlose Nachfahre irgendwann in
den Kopf gesetzt, diesen Makel der Familienehre auszumerzen, indem er die
kleine Burg wieder aufbaute. Das würde zwar ein Heidengeld kosten, das war dem
Baron klar, wie er Haderlein lächelnd mitteilte, doch da sein Vermögen nach
seinem Tod sowieso unter der buckligen Verwandtschaft aufgeteilt werden würde,
könnte er sich mit seinen Millionen auch genauso gut seinen ganz persönlichen
Lebenstraum erfüllen. Also hatte er, auch mit öffentlichen Geldern des
Freistaates Bayern und der EU , das gewaltige
Projekt auf die Beine gestellt.
    Je näher
Haderlein der Baustelle kam, umso häufiger fuhr er an Steinquadern, Balken oder
Baumaschinen am Straßenrand vorbei. Extra für die Arbeiten hatte der Baron
einen geteerten Weg bis zum Waldrand am Fuße der Burg angelegt, doch dort war
dann Schluss mit lustig: Von hier aus führte ein schlammiger Pfad in
großzügigen Serpentinen zur Baustelle hinauf.
    »Schafft
das Ihr SUV ?«, spöttelte der Baron auf dem
Beifahrersitz des Freelanders.
    »Das ist
ein Landrover, Herr Baron, und ein Landrover kommt überallhin«, sagte
Haderlein, der sich doch in seiner Autobesitzerehre gekränkt fühlte.
    »Wenn Ihr
Pseudogeländefahrzeug es bis oben schafft, dann gebe ich Ihnen ein Essen aus,
Herr Kommissar – und zwar in Begleitung des ältesten Tropfens, den ich in
meinem Keller finde«, sagte der Baron süffisant, bevor er einen mehr als nur
abfälligen Blick

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